Kapitalismus resozialisieren

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Die Gewalt von rechts, wie sie die jüngsten Vorfälle in Deutschland zeigen, alarmiert Europa. Dass Österreich diese beunruhigenden Entwicklungen primär dazu benutzt, um die internationale Aufmerksamkeit von sich auf andere zu lenken, ist ein weiteres Symptom dafür, dass dieses Land nicht nur seine Vergangenheit, sondern auch seine Gegenwart verdrängt.

Zur Gegenwart gehört die Tatsache der Migration, die allen europäischen Ländern zu schaffen macht (man erinnere sich an die Menschenjagden in Spanien oder Italien). Sie wird in diesem sich einigenden Europa solange zunehmen, solange sich das Gefälle zwischen Arm und Reich weiterhin verschärft. Einwanderungspolitik bleibt dennoch in der EU ein ungeliebtes Tabuthema. Die Barrieren der Vorurteile und emotionellen Abwehr sind in der "Festung Europa" überall annähernd gleich hoch.

Das Argument, in der ehemaligen DDR komme zu den generellen Vorurteilen gegen alles "Fremde" noch die mangelnde demokratische Erfahrung und die fehlende Kofliktkultur, stimmt, trifft aber nur die halbe soziale Realität. Mindestens ebenso stark unterminiert die neue soziale Kälte, die kalte Logik des Profits um jeden Preis, den mühsam aufgebauten Konsens der zivilen Gesellschaft, dass Menschenrechte, Toleranz und Demokratie für alle Bürger gelten. Wo der Abstand zwischen Gewinnern und Verlierern ständig größer wird, wo die Verachtung für Schwache, Kranke, Alte zunimmt, sammelt sich am Rand der Gesellschaft ein gewaltbereites Potential, das die Basis der Demokratie gefährdet. Die "soziale Marktwirtschaft", die nach 1945 entwickelt wurde, beruhte vor allem auf der Erkenntnis, dass der Nationalsozialismus kein Betriebsunfall, sondern auf den ökonomischen und moralischen Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft zurückzuführen war.

Der Abbau dieses Konzepts, wie wir ihn derzeit weltweit erleben, bereitet für neue soziale Konflikte den Boden. Nicht zufällig denken weitsichtigere Analytiker über die notwendige "Resozialisierung" des Kapitalismus nach - auch und gerade im Hinblick auf den ehemaligen "Ostblock", wo die neue Welle rechter Gewalt erst anzurollen droht.

Trautl Brandstaller ist ORF-Journalistin und Dokumentarfilmerin.

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