Klassische Femme Fatale

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Kunst, Politik, freie Liebe: In den zwanziger Jahren wurden die Siebziger vorweggenommen.

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Kunst, Politik, freie Liebe: In den zwanziger Jahren wurden die Siebziger vorweggenommen.

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Eveline Hasler vermittelt in ihrem dokumentarischen Roman "Aline und die Erfindung der Liebe" eine Ahnung von Aline Rosenbaum. Egal, ob es sich tatsächlich um einen Roman oder doch eher um einen mit dokumentarischem Material angereicherten Bericht handelt, der Leser nimmt gern mit dem literarischen Zwitterwesen Vorlieb. Die Faszination Alines und auch der Tessiner Landschaft siegt und man bekommt Lust auf literarische Abstecher zum Dadaismus, zu Ignazio Silone oder zum frühen Joyce.

Eveline Hasler vermittelt aber vor allem eine Atmosphäre, in der zunächst in kleinen Zirkeln traditionelle Bindungen fallen und die in dieser Hinsicht an die siebziger Jahre erinnert, an die plötzlich in Mode kommende Libertinage, an deren Scheitern. Die Atmosphäre des Buches ist jene, in der während des Ersten Weltkrieges und der Zwischenkriegszeit Künstler im Süden der Schweiz lebten. In diesem Spinnennetz fängt die Autorin den Leser, der angeregt wird, Bezüge herzustellen. Das Tessin war ein Zufluchtsort für Anarchisten, Kapitalisten, Künstler und Lebenskünstler. Eine Brutstätte für Ideen, Lebensentwürfe und Weltverbesserungen. Bekannt wurde der "Monte Verita" mit den Anarchisten Bakunin und Erich Mühsam, Rudolf von Labans Kunstschule, dem Grazer Psychoanalytiker Otto Gross bis zum Meister des freimaurerischen Templerordens Theodor Reuss in der Nähe Asconas. Der Mikrokosmos um die Rosenbaums war eine dieser vielen vergessenen, aber kulturgeschichtlich bedeutungsvollen Gruppen.

Aline Rosenbaum begeisterte (ähnlich wie Alma Mahler-Werfel) berühmte Männer, ging aber in ihrer Rolle als gesellschaftlicher Mittelpunkt nie gänzlich auf. Dem breiten Publikum blieb sie eine Unbekannte, im Gegensatz zu den Männern, die in ihrer Villa im Dorf Comologno einkehrten, darunter Kurt Tucholsky und lgnazio Silone, der Psychoanalytiker C. G. Jung, Elias Canetti und der Dadaist Hans Arp. Tessin-Freunde sind möglicherweise auf Aline Valangin gestoßen. Unter diesem Namen schrieb sie die "Geschichten vom Tal" und die "Tessiner Novellen", einfühlsame Schilderungen des Tessin vor der Entdeckung durch den Tourismus. Hermann Hesse sah darin beachtliche Talentproben, einige lobte er als als literarische Leistungen.

Aline wurde 1889 in eine ungewöhnliche Familie hineingeboren. Ihr Großvater Elie Ducommun war Leiter des Friedensbüros in Bern und bekam 1902 den Friedensnobelpreis. Die Mutter dominierte lange Alines Leben und wachte über ihr Liebesleben, oder, besser gesagt, verhinderte dieses und förderte die Karriere als Pianistin, die dann durch einen Unfall unmöglich wurde. Es war ein weiter Weg von da zur Symbolfigur weiblicher Erotik.

Während des Ersten Weltkrieges lebt Aline in einer seltsamen Oase von Emigranten, zwischen Künstlern und Amateurpolitikern. Der Dadaismus ist ein Versuch, den Wahnsinn des Krieges durch Kunst erträglich zu machen und der Sinnlosigkeit die Sinnenfreude entgegenzusetzen. Aline ist bei den ersten Aufführungen und Festen der Dadaisten dabei. Gegen den Willen der Mutter heiratet sie den jungen Rechtsanwalt Waldimir Rosenbaum, der ihr Begleiter durchs Leben und darüber hinaus wird. Er hat als Kind aus Rußland fliehen müssen und steigt in der Schweiz zu einem der erfolgreichsten Rechtsanwälte seiner Zeit auf. In den frühen zwanziger Jahren beginnt sein kometenhafter Aufstieg. Die Rosenbaums sind in der Lage, rauschende Feste zu geben.

Canetti schwärmte von der Gastgeberin und meinte, es habe kaum einen angesehenen Dichter, Maler oder Komponisten gegeben, der nicht bei ihr verkehrte. Die Villa in Comologno hatte eine ebenso exzentrische Geschichte wie ihre Bewohner, hieß "Barca" und wurde zu einem Schiff mit oft wechselnder Besatzung. Als Kontrastprogramm zur gelebten Freizügigkeit wurde Martin Buber eingeladen, der Vorträge über Ehe und Treue hielt, jedoch im Streit von den Gastgebern schied.

Als die Nazis in Deutschland immer stärker wurden, mutierte die "Barca" zum Zufluchtsort für deren Gegner: Ernst Toller und Kurt Tucholsky erholten sich in der noblen Atmosphäre. Das Herz der Gastgeberin rührte neben dem Maler Walter Helbig jedoch vor allem Ignazio Silone, dem Aline den Zugang zu einer sinnenfrohen, heiteren Welt eröffnete. Bei ihm dürfte ihr Motto Realität geworden sein: "Ich möchte mich mit jemandem zusammentun, ihn beleben, ihn lieben, bis seine Kruste schmilzt, sein Herz möchte ich pochen hören."

In diese Zeit fällt Silones weitreichende persönliche Schicksalsfrage: Wie bleibt man seinen Idealen treu, wenn diese verraten und pervertiert werden? Im Kommunismus hatte er eine Symbiose von christlichen Werten und sozialer Haltung zu finden geglaubt. Als 27-Jähriger hatte er sich bei der Komintern in Moskau gemeinsam mit Togliatti geweigert, eine Resolution gegen Trotzki zu unterschreiben, da ihm keine Einsicht in die Dokumente der Ankläger gewährt wurde. In den Jahren im Tessin beschließt er, aus der Kommunistischen Partei Italiens auszutreten. Silone bricht aber auch mit Aline, da er mit ihrer Freizügigkeit wie auch mit ihrem Wohlstand und ihrem sozialen Status nicht zu Rande kommt: "Er wollte sie, die Bürgerin, nicht und begehrte sie dann doch wieder für sich ganz allein."

1933 ist auch die "Barca" aufgelaufen und gekentert. Die letzten Gäste sind Hans Marchwitza, der später in der DDR zu Ehren gekommene Dichter, der seinen Roman "Die Kumiaks" schreibt, Max Ernst und R. J. Humm, der mit dem "Carolin" einen Schlüsselroman über Aline und ihren Mann schrieb, die ihre unterschiedlichen Auffassungen vom Leben und von der Liebe tolerierten. Trotzdem wurde die Ehe geschieden. Rosenbaum hatte seine Existenzgrundlage verloren, nachdem er versucht hatte, Waffen für die Republikaner per Flugzeug nach Spanien zu schmuggeln und nach dem Schweizer Neutralitätsgesetz verurteilt und eingesperrt worden war. Nach der Scheidung lebte Aline mit dem Komponisten Wladimir Vogel in Paris. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden sie und Rosenbaum, der mittlerweile zum dritten Mal verheiratet war, einander wieder, und zu dritt liegen sie auch in einem Grab. Da es in Ascona ein Gesetz gab, wonach nur zwei Personen in einem Grab liegen durften, ruht Ehefrau Sybille rechts von Rosenbaum und "Sciora" Alines Asche in einer Kiste auf Rosenbaums Bauch.

Ein anregendes Buch, das freilich mehr verspricht, als eingehalten wird. So bleibt das Verhältnis zu James Joyce im Ungefähren. Ein Glossar mit Kurzbiographien der Bedeutenden, die in der "Barca" verkehrten und ein Hinweis auf die anderen im Tessin lebenden Gruppen hätten dem Buch nicht geschadet. Weniger wichtig ist hingegen die Frage, wie frei von Eveline Hasler mit der Realität umgegangen wird. Schließlich liegt mit "Geschichte zweier Leben - Wladimir Rosenbaum und Aline Valangin" von Peter Kamber (Neuauflage im Limmat Verlag) eine profunde Dokumentation vor, die bereits vor zehn Jahren die beiden Charaktere und das Psychogramm einer eigenwilligen Bindung dokumentierte.

Aline und die ErFindung der Liebe Roman von Eveline Hasler, Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2000, 235 Seiten, geb., öS 263,- /e 19,11

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