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Unterkühlte Festwochen-Aufführung: Debussys Oper "Pelléas et Mélisande".

Die literarische Vorlage verweigerte sich gängigen Theaterkonventionen, die Musik ist eine Absage an alle damals existierenden Formen des Musiktheaters: Claude Debussys "Pelléas et Mélisande" ist radikale Avantgarde, ohne jedoch auch nur an die Grenzen der Tonalität zu gehen. Daher fristet das lyrische Drama seit seiner skandalumwitterten Uraufführung im Jahre 1902 ein Dasein am Rande des Musiktheaterkanons. Immer wieder werden Versuche unternommen, das eigenwillige Werk in der Welt der Oper zu etablieren, so auch bei den Wiener Festwochen, die eine Produktion der Staatsoper Hannover übernommen haben: eine auf jeder Skala frostige Aufführung, die Adepten der klassischen Moderne aufhorchen, aber sonst kaum jemanden mit dem ätherischen Stück warm werden lassen wird.

So unterkühlt die Musik Debussys in ihrer Sparsamkeit und Transparenz ohnehin schon klingt, unter Shao-Chia Lü gefriert sie zu klirrendem Reif. Nur einmal, wenn der eifersüchtige Vater seinen Sohn in die Rolle des Spitzels zwingt, lässt das Staatsorchester Hannover die nackte Angst des Knaben Yniold (Sunhae Im) spüren, während ansonsten die in Musik gegossenen Gemütsregungen nur zu dechiffrieren sind. Immerhin: weggelassen wurden jene ungeliebten Zwischenspiele, die Debussy wegen der notwendigen Umbauarbeiten im letzten Moment unter "Murren und Fluchen" dazukomponierte und die das Timing der Oper über den Haufen werfen.

Vom raunenden Symbolismus des Literaturnobelpreisträgers Maurice Maeterlinck ist in der Inszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito nichts übrig geblieben. Keine Fin de siècle-Morbidität, kein finsteres Mittelalter, keine unterirdischen Grotten und bodenlosen Gewässer, in denen das Unbewusste und die Triebe hausen. Die ganze tragische Dreiecksgeschichte spielt in hohen, hellen Räumen, halb Chefetage, halb schickes Landdomizil. Debussy und Maeterlinck deuteten vieles nur an und selbst diese Andeutungen finden im Theater an der Wien nur in der Phantasie der Protagonisten statt, die das wenig behagliche Heim der beiden Althippies Arkel (Xiaoliang Li) und Geneviève (Danielle Grima) nicht verlassen. Mélisande (Alla Kravchuk) ist eine aparte Frau, deren dunkles Geheimnis Behauptung bleibt. Pelléas (in der zweiten Aufführung: Peter Bording) ist ein abgeklärter, jeglicher Schwärmerei abholder Jugendlicher. Nur Pelléas' Stiefbruder und Mélisandes Mann Golaud (Oliver Zwarg), Typus erfolgreicher Geschäftsmann, leidet sichtlich an Neurosen, die im Lauf der Aufführungen psychopathische Formen annehmen. Der vermeintliche Betrug - vielleicht nur Gedankenspielerei. Das Ende - noch vager als im Libretto.

Zu welch glänzenden darstellerischen Leistungen Opernsänger fähig sind, führt das Ensemble in beeindruckender Weise vor. Die Sangeskünste stehen dem in nichts nach, wobei der sonore Bass von Xiaoliang Li und der helle, klare Sopran von Alla Kravchuk hervorzuheben sind. Doch auch sie können nichts daran ändern, dass der Abend sehr, sehr lang wird.

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