Schimmernder und faszinierender Zauber

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Die Oper "Pelléas et Mélisande" wurde dank bildmächtiger Deutung und musikalischer Leistung am Landestheater Linz zum Ereignis.

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Die Oper "Pelléas et Mélisande" wurde dank bildmächtiger Deutung und musikalischer Leistung am Landestheater Linz zum Ereignis.

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Sie sind alle omnipräsent, tragen lange Gewänder, die teils beinahe bis zum Boden reichen und schweben im Raum. Kaum wahrnehmbar werden sie in extremer Zeitlupe auf und ab und seitlich bewegt. Jeder für sich macht immer wieder die gleichen, stereotypen Bewegungen in extrem langsamen Tempi. So ergibt sich der Anschein, als ob sie alle zu weiß gesichtigen Puppen erstarrt wären. Trotz ihrer ständigen Anwesenheit, scheinen sie zueinander keinerlei Interaktion und Beziehung zu haben sondern blicken nur geradeaus ins Publikum. Nur der Tod, der auch den Schäfer und den Arzt mimt und Golaud, der Motor des Tragischen, die eigentliche Schlüsselfigur, stehen erdenschwer am Boden. Letzterem ist die Bewegungsfreiheit dort jedoch sehr symbolhaft durch riesige, schwere Schuhe enorm eingeschränkt: So eigenwillig und so extrem anders, aber doch so faszinierend deutet der deutsche Maler, Bühnenbildner und Regisseur Achim Freyer "Pelléas et Mélisande" von Claude Debussy am Linzer Landestheater.

Ausgeklügelt, faszinierend

Freyer sieht wie Maurice Maeterlinck ,der Autor des gleichnamigen Dramas, auf dem die Oper basiert, im Sinne von dessen "Theatre statique", dass das Stück seine Stärke nicht aus der Handlung, sondern aus den inneren Seelezuständen der eigentlich überhaupt "nicht handelnden" Personen erfährt.

Dazu sieht man auf der Bühne einen weit in die Tiefe gehenden Wald von reflektierenden Scheiben, die in ihrem Farbenspiel auch sehr symbolhaft das Innere der Figuren veräußerlichen. Dahinter steht ein ausgeklügeltes und faszinierendes Farbkonzept mit beinahe pausenlosen Veränderungen der Lichtstimmungen, die die Personen immer wieder im Dunklen verschwinden und dann wieder auftauchen lassen. Bei den Szenenwechseln huschen zudem noch dunkle, schemenhafte Figuren quer über die Bühne, deren Sinnhaftigkeit sich jedoch dem Betrachter nicht erschließt.

All dies bewirkt einen bildmächtigen Theaterzauber, der trotz aller Statik tief beeindruckt. Das Drama um Liebe und Eifersucht um eine rätselhafte Frau, die zwischen zwei Halbbrüdern steht, mit dem kunstvollen Geflecht von Beziehungen, Sehnsüchten und Abhängigkeiten, Angst und Tod, wird bei Achim Freyer zum Ereignis! Erst nach Pelléas finalen Worten "Alle Sterne fallen vom Himmel" und bei seinem folgenden Tod fallen tatsächlich alle reflektierenden Scheiben zu Boden und die Bühne bleibt bis zum Ende der tragischen Oper nur mehr in fahles, realistisches Licht getaucht.

Zarteste Farbmischungen, subtile träumerische, ja transzendente Klänge, die sich zu einem impressionistischen Gemälde, ja zu einem magischen Tongeflecht verdichten, wobei das früher praktizierte, übliche Verschwimmen zugunsten von klar erkennbaren, luziden Strukturen ersetzt wird: So delikat und vom Feinsten ist die orchestrale Differenzierungskunst von Debussys schillernder, genialer Partitur, die als perfekte Wagner-Antithese in die Musikgeschichte eingegangen ist, die das Bruckner Orchester Linz unter Dennis Russell Davies zeichnet.

Tadelloses Sängerensemble

Auch im Sängerensemble ist keine Schwachstelle aufzuspüren: Myung Joo Lee ist eine sehr mädchenhafte und fragil wirkende Mélisande. Die Sopranistin singt die geheimnisvolle, undurchschaubare Außenseiterin mit unbekannter Herkunft mit hinreißender Schönheit und betört mit feinsten Nuancen, wunderbaren Farben und tiefgehender Innigkeit. Iurie Ciobanu ist ein kraftvoll intensiver, wie auch sanftmütig schwärmerischer, sehr geschmeidig singender Pelléas. Sébastien Soules als sein düsterer Gegenpol, ist ein mächtiger, selbstquälerisch zwischen Sanftmut und Jähzorn hin und her gerissener Golaud. Sein Sohn Yniold wird von Martha Matscheko kindlich und mit großer Tonreinheit gesungen. Dominik Nekel ist ein ergreifender Arkel mit weichen Tönen, Karen Robertson eine tadellose Geneviève.

Fazit: Eine rundum gelungene Produktion, die zu Recht bejubelt wurde, wobei nach der Pause das große Haus am Volksgarten doch nur mehr schütter besetzt war!

Pelléas et Mélisande

Landestheater Linz, 27. Juni

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