Kofferraum statt Einkaufstasche

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30 Jahre Shopping City Süd - Europas größtes Einkaufszentrum vor den Toren Wiens.

Als Handelsminister Josef Staribacher am 22. September 1976 die Shopping City Süd eröffnete, meinte er in seiner Rede, dass man über die SCS nachdenken und diskutieren müsse, sie aber gewiss nicht aufhalten könne. Mit dieser ambivalenten Einschätzung ahnte er vielleicht schon, dass der Konsumtempel südlich der Bundeshauptstadt nicht nur die Zukunft des modernen Einkaufens vorwegnehmen, sondern auch den Beginn der Suburbanisierung, der Verlagerung urbaner Funktionen aus den Kernstädten in die so genannten Speckgürtel bedeuten sollte.

Seit damals gelten für alle größeren Einkaufs-und Gewerbestandorte österreichweit folgende Erfolgskriterien: möglichst uneingeschränkte Expansionsmöglichkeiten, für den Autoverkehr gut erschlossen, nahe an den Kunden der Großstädte und doch in gewisser Distanz zu gewachsenen Geschäftsstraßen. Die Investorengruppe der scs um den Wiener Textilhändler Hans Dujsik hatte Anfang der 1970er Jahre einen solchen Standort für ihr Projekt nach us-amerikanischem Vorbild am prosperierenden Südrand Wiens gefunden - ein aufgelassenes Lehmabbaugelände in der Gemeinde Vösendorf. Und sie fand in der Niederösterreichischen Landesregierung eine Behörde, die über raumplanerische Notwendigkeiten recht unbefangen hinwegsah.

Keine Raumplanung

Eine spezielle Widmung für Einkaufszentren gab es damals im Raumordnungsgesetz noch nicht - also wurde der scs-Standort ganz allgemein als Betriebsgebiet genehmigt. Spezielle Verkehrsprobleme durch die Shopping City sah man keine kommen. Und auch die wasserrechtliche Bewilligung für die Zuschüttung der alten Ziegelteiche auf dem Gelände wurde rasch erteilt. "So rasch", hört man aus der Landesverwaltung, "würde das heute nicht mehr über die Bühne gehen." Das mediale Interesse an der scs hielt sich damals aber in Grenzen, und in den Akten der niederösterreichischen Raumordnungsabteilung findet sich nur ein einziges Protestschreiben aus dieser Zeit. Dabei, so ein Mitarbeiter der Planungsbehörde, "musste aufgrund internationaler Erfahrungen auch schon damals klar gewesen sein, dass ein Einkaufszentrum dieser Dimension nicht nur zusätzliche Kaufkraft anzieht, sondern massiv Kaufkraft aus der Region absaugt".

Als die scs gleich in den ersten Jahren vor Augen führte, welche Folgen die Konzentration von damals 160 Geschäften mit insgesamt 100.000 Quadratmetern Verkaufsfläche für den gesamten Südraum Wiens nach sich zieht, durfte die Raumplanung reagieren: Die Neufassung des niederösterreichischen Raumordnungsgesetzes erlaubte nun die Errichtung von Einkaufszentren nur noch auf gesondert ausgewiesenen Flächen. Nichtsdestoweniger begann die SCS bereits fünf Jahre nach ihrer Eröffnung mit der Erweiterung. Neben der Aufstockung des Hauptgebäudes für zusätzliche 30.000 Quadratmeter Verkaufsfläche sowie einem Anbau für IKEA mit 20.000 Quadratmetern kamen eine 40 Meter hohe Glaspyramide mit einem Freizeit-El-Dorado und ab 1987 noch Kaufhallen für internationale Ketten wie Media Markt, bauMax, PS-Markt oder TOYS "R" US hinzu.

Dies war möglich, da das Raumordnungsgesetz als Einkaufszentren jene Handelsgiganten definierte, deren Branchenmix auch Lebensmittel umfasst. Zum Zeitpunkt der Gesetztesnovelle galten Einkaufszentren ohne Lebensmittelangebot als wirtschaftlich undenkbar. Mitte der 80er Jahre allerdings lockten bereits andere "Zubringer" wie Unterhaltungselektronik oder Autozubehör die Kunden ins Shopping Center. Die so genannten Fachmärkte - ohne Lebensmittel im Sortiment - durften auch auf gewöhnlichem Betriebsbauland errichtet werden, das der scs noch im Übermaß zur Verfügung stand - und steht.

Erst 1999 rang sich das Land Niederösterreich erneut zu einer Novelle des Raumordnungsgesetzes durch, demzufolge künftig auch Fachmarktzentren einer eigenen Widmung bedürfen. Dies gilt jedoch nur für Neuwidmungen - all jene Flächen, die bereits als Gewerbegebiete ausgewiesen sind, können auch weiter ohne Einschränkung für Fachmärkte genutzt werden. Andere Versuche zur Reglementierung der fortschreitenden Handelskonzentration scheiterten an Einsprüchen beim Verfassungsgerichtshof - etwa eine Regelung zum Schutz von Nahversorgern mit Gütern des täglichen Bedarfs vor der Konkurrenz der Einkaufszentren.

Wachstum ohne Ende

So verwundert es nicht, dass die scs nach wie vor wächst. Heute zählt sie 225.000 Quadratmeter Verkaufsfläche auf einem Areal von insgesamt 85 Hektar, rund 330 Geschäfte und Fachmärkte, 10.000 Parkplätze, 25 Millionen Besucher aus ganz Österreich, aber auch aus Ungarn und der Slowakei - sowie eine Milliarde Euro Jahresumsatz; Tendenz steigend. Die Schattenseiten dieser privatwirtschaftlichen Erfolgsstory sind ebenso überwältigend: Neben der weitläufigen Verbauung kam es zu einer enormen Versiegelung von Freiflächen am scs-Standort. Die Handels-und Dienstleistungsstruktur in den Bezirken Mödling und Baden ist dauerhaft geschädigt. Die Einkaufsstraßen Wiens konnten nur bedingt am Leben gehalten werden - wozu die Stadtväter bald das Ihre beitrugen, indem sie auf eigenem Gemeindegebiet ebenfalls periphere Einkaufs-und Fachmarktzentren genehmigten. Und die Südausfahrten der Bundeshauptstadt sind chronisch überlastet, zumal elf Millionen Autos pro Jahr in die scs drängen; Tendenz ebenfalls steigend.

Die Gemeindegrenzen von Vösendorf wurden von diesem Einkaufskonglomerat längst gesprengt. Bereits 1991 überschritt die scs die Grenze zu Wiener Neudorf. Ebendort entstand ein Jahr später rund um einen verbliebenen Ziegelteich die "Blaue Lagune" - heute mit 85 Musterhäusern auf einer Fläche von etwa 80.000 Quadratmetern Österreichs größter Fertighaus-Kaufpark. In der "Motor City Süd" wiederum kann man sich unter Tausenden Autos den zum Eigenheim passenden Zweitwagen aussuchen. So herrscht nicht nur an Sonntagen reges Kundentreiben in der Einkaufsstadt - auch die abendlichen Schließzeiten bedeuten für die scs kein Ende des Geldverdienens: Das 1994 eröffnete "Multiplex" beherbergt auf 37.000 Quadratmetern neben Shops, Restaurants, Disco und Fitness-Center eines der meistbesuchten Kino-Center des Landes.

Jüngstes Projekt ist die Umrüstung eines Teils der - mit 30.000 Quadratmetern offenbar etwas überdimensionierten - Motor City Süd zur so genannten Sale City Süd. Ab Ende September werden hier 40 Anbieter aus den Bereichen Bekleidung, Schuhe, Accessoires und Sportartikel, die überwiegend auch in der benachbarten SCS vertreten sind, den saisonalen Schlussverkauf für überholt erklären - und permanenten Abverkauf bieten. Damit will die SCS der Konkurrenz der Outlet Center zu Leibe rücken, die vor allem Designer-Ware aus den Vorjahren billig auf den Markt werfen. Die Sale City hingegen will mode-und preisbewusste Kunden mit Restmengen aktueller Kollektionen aus den Vormonaten ködern.

Seit ihrem Bestehen wirft die scs einen Schatten auf die Beziehungen zwischen Niederösterreich und Wien, das unter dem massiven Kaufkraftabfluss auch steuerlich leidet. Der "Kleinkrieg" zwischen beiden Bundesländern betrifft aber auch die Verkehrspolitik. Trotz des regelmäßigen Chaos auf den Zufahrtsrouten zur scs weigerte sich die Stadt Wien, ihr öffentliches Verkehrsnetz bis zur Shopping City Süd auszubauen - auch wenn rund die Hälfte der bis zu 50.000 Autos pro Einkaufstag aus der Bundeshauptstadt kommt. Spätestens seit der Verlängerung der U-Bahn-Linie 6, die demonstrativ bis auf eineinhalb Kilometer - aber keinen Schritt weiter - an die SCS herangeführt wurde, ist klar, dass Wien auch künftig nicht gewillt ist, zur Lösung des Verkehrsproblems beizutragen.

Immer mehr Straßen

Weitere Ausbaupläne der scs sind deswegen aber nicht zum Scheitern verurteilt. Die Südautobahn, Hauptzubringer zur Shopping City, wurde von sechs auf acht Fahrspuren verbreitert. Und erst kürzlich wurde das erste Teilstück der S1, der Wiener Außenring Schnellstraße, eröffnet, was Vösendorf noch attraktiver für Kunden aus dem Norden, Osten und Westen Wiens macht - auf Kosten der öffentlichen Hand. Das Problem der zunehmend längeren Fußwege von den Parkplätzen zu den Shops bleibt hingegen ungelöst: Jahrelang gab es Pläne, das Einkaufsgelände durch einen so genannten Cable-Liner - eine Art Seilbahn auf Stelzen - zu erschließen. Mittlerweile ist das Projekt aber vom Tisch - vielleicht auch deshalb, weil die scs in diesem Fall selbst für die Infrastruktur aufkommen hätte müssen.

Angeblich zu Grabe getragen wurde auch eine die Vision, im Anschluss an das Verkaufsgelände einen 40 Hektar großen unterirdischen Themenpark zu errichten. Ziel war eine Symbiose der beiden Funktionen Konsum und Freizeit, die aus Sicht der scs-Macher ohnehin nicht mehr zu trennen seien. Jährlich 1,5 Millionen Besucher hätte die geplante Erlebniswelt nach Vösendorf locken sollen - nicht nur, um untertage Abenteuer zu erleben, sondern um davor oder danach auch noch oberirdisch einzukaufen. Betrachtet man die Dynamik der scs in den vergangenen drei Jahrzehnten, ist eine Renaissance dieser Idee aber keinesfalls auszuschließen.

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