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Charakteristische Gegenstände der neuen EU-Länder und Österreichs im Volkskundemuseum: Verschwinden in Zeiten der Globalisierung die Eigentümlichkeiten?

Angenommen, jemand bittet Sie, ihm einen für Österreich typischen Gegenstand zu schicken. Was besorgen Sie? Mozartkugeln, einen Gamsbart oder ein Kaffeehäferl aus Mariazell? Das Österreichische Museum für Volkskunde hat verwandte Institutionen in den zehn neuen EU-Staaten vor genau diese Schwierigkeit gestellt. Ethnologische Museen oder Universitätsinstitute in den Beitrittsländern wurden gebeten, je ein möglichst symbolbeladenes, zeitgenössisches Ding nach Wien zu schicken, das repräsentativ für das Absenderland ist. In der Ausstellung "15+10 Europäische Identitäten" werden den eingelangten Gegenständen, präsentiert in halb aufgerissenen Paketen mit EU-Klebeband, Objekte aus der eigenen Sammlung gegenübergestellt. Das Ergebnis ist eine intelligente Auseinandersetzung mit der Frage, wie und woraus nationale Identitäten konstruiert werden.

Tradition oder Tourismus?

Bemerkenswert, dass gleich vier Länder Gegenstände nach Wien sandten, die hauptsächlich für Touristen bestimmt sind: Aus Malta wurde Malteser Spitze geschickt, aus Ungarn Tokajer, aus Zypern Süßigkeiten und aus Slowenien das Modell einer Heuraufe aus einem Souvenirshop. Auf Zypern kann man überall angeblich landestypische Zuckerln kaufen. Im griechischen Teil "Cyprus Delights", "Köstlichkeiten aus Zypern", deren Verpackung mit der unbekleideten Aphrodite geschmückt ist, im türkischen Teil "Türkische Köstlichkeiten", auf deren Verpackung sich Haremsdamen räkeln. Diese Süßigkeiten werden jedoch nicht von den Zyprioten auf beiden Seiten der geteilten Insel gekauft und verzehrt, sondern beinahe ausschließlich von Touristen. Auch der süße Wein aus Tokaj ist schon lange nicht mehr Teil des ungarischen Alltagslebens. Er kommt, wenn überhaupt, nur noch zu wenigen, besonderen Anlässen auf den Tisch. Es stellt sich die Frage, ob solche einstmals repräsentativen Gegenstände noch als Teil nationaler Identität zu betrachten sind und nicht nur als Teil des von der Tourismusindustrie geschaffenen Images. Welche sind heute die Eigentümlichkeiten eines Landes oder verschwinden diese in Zeiten einer globalisierten Kultur immer mehr?

Das Volkskundemuseum konnte für seinen Teil aus dem Vollen schöpfen, denn die Sammlung stammt größtenteils aus einer Zeit, in der es noch leicht war, Landestypisches zu finden. "15+10 Identitäten" ist auch eine Leistungsschau des 1895 gegründeten Museums, das von Anfang an einen vergleichenden europäischen Ansatz verfolgte. Immerhin war es die ethnografische Institution für die österreichische Hälfte der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie. Aus Polen kam für die aktuelle Schau eine Weihnachtskrippe aus Krakau. Das Volkskundemuseum besitzt eines der ältesten bekannten musealen Exemplare dieser Art ("Szopka"), mit dem entsprechenden Stolz wird es auch ausgestellt.

Ethnologie des Alltags

Während immer mehr Institutionen im deutschsprachigen Raum die Bezeichnung "Volkskunde" durch "europäische Ethnologie" ersetzen, ist das Österreichische Museum für Volkskunde seinem traditionellen Namen (noch) treu geblieben. "15+10 Identitäten" zeigt jedoch zum wiederholten Mal, dass hier moderne wissenschaftliche Arbeit geleistet wird. Da mögen Besucher noch so sehr den Kopf darüber schütteln, dass neben der Tokajer-Flasche auch ein Coca Cola-Becher gezeigt wird, der für die aktuellen Trinkgewohnheiten der Ungarn steht - für die Ethnologen und Archäologen der Zukunft wird eine Cola-Flasche ein ebenso interessantes Objekt sein wie die zyprische Keramik, die im 2. Jahrtausend v. Chr. den Mittelmeerraum überschwemmte. Den Unterschied zwischen moderner europäischer Ethnologie und der leider allzu oft rückwärts gewandten Volkskunde demonstriert auch das wissenschaftshistorisch aufschlussreiche Sammlungsobjekt, das der slowakischen Fujara-Flöte gegenüber gestellt wurde: ein romantisierendes Ölgemälde aus dem 19. Jahrhundert, das einen jener Drahtbinder aus der Slowakei darstellt, die damals durch ganz Europa zogen, Mausefallen oder Siebe verkauften, zerbrochene Töpferware flickten und das Bild ihres Landes prägten. Aus heutiger ethnologischer Sicht sagt der Ölschinken über den so genannten Rastelbinder ebenso viel aus wie Franz Lehárs gleichnamige Operette.

15+10 Europäische Identitäten

Österreichisches Museum für Volkskunde, Laudongasse 15-19, 1090 Wien

Bis 4. Juli Di-So 10-17 Uhr

www.volkskundemuseum.at

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