Eine lang vergessene Kultur erwacht

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Lange Zeit ruhten jüdische Gegenstände aus dem Wiener Volkskundemuseum im Depot. | Eine neue Ausstellung bringt eine interessante Kultur wieder in die Öffentlichkeit.

Ein Horn, das anlässlich des jüdischen Neujahrsfestes und des Jom Kippur geblasen wurde: Das war das allererste Objekt jüdischer Provenienz in den Sammlungen des Österreichischen Museums für Volkskunde in Wien. Über sieben Jahrzehnte lang schlummerte das Schofar im Museumsdepot, nun aber wurde es zusammen mit anderen Objekten wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht: In der Ausstellung "Von Dreideln, Mazzes und Beschneidungsmessern - Jüdische Dinge im Museum“ zeigt das Volkskundemuseum einen Teil seiner Sammlung von Judaica. Bis 1938 waren "jüdische Dinge“ Teil der permanenten Ausstellung, kurz nach dem "Anschluss“ jedoch wurden sie entfernt und magaziniert.

Erklärung jüdischer Kultur

Vor der beinahe vollständigen Auslöschung der jüdischen Kultur in unserem Land mögen die genannten Gegenstände auch außerhalb der jüdischen Community bekannt gewesen sein - heute freilich bedürfen sie einer Erklärung: Ein Dreidel ist ein rechteckiger beschrifteter Kreisel, der von jüdischen Kindern während des Chanukka-Festes gedreht wird. Mazze wird das ungesäuerte Fladenbrot der jüdischen Küche genannt (Drei Stück eines solchen Brotes kamen nach dem Krieg in den Bestand des Museums). Allein der jüdische Brauch der Beschneidung ist noch heute verbreitetes Wissensgut. Das im Volkskundemuseum gezeigte Beschneidungsmesser samt Schatulle aus dem 18. Jahrhundert war dort bis 1938 ausgestellt und ist seit 1992 als Dauerleihgabe im Österreichischen Jüdischen Museum in Eisenstadt zu sehen.

Ein großer Teil der jüdischen Sammlung des Volkskundemuseum stammt aus der "Patriotischen Kriegsmetallsammlung“, die während des Ersten Weltkrieges durchgeführt wurde. Bevor die Metallgegenstände für die Waffenproduktion eingeschmolzen wurden, durften sich Museen wertvolle Stücke für ihre Sammlungen aussuchen.

Loyalität gegenüber dem Kaiser

Zu den Objekten dieser Provenienz gehören zum Beispiel ein Zinnteller oder ein Chanukka-Leuchter aus den östlichen Kronländern, beide mit dem österreichisch-ungarischen Doppeladler verziert. Spätestens seit ihnen 1867 erstmals in ihrer Geschichte in ganz Österreich die freie Religionsausübung, Bewegungsfreiheit und Niederlassungsfreiheit gestattet worden war, empfanden die Juden eine besondere Loyalität gegenüber der Donaumonarchie und dem Kaiserhaus. Insbesondere die Juden Galiziens waren bedingungslos pro-österreichisch eingestellt.

In den meisten Fällen sind die ursprünglichen Eigentümer der Objekte nicht bekannt, auch nicht der Herkunftsort. Bei manchen Gegenständen ist es überhaupt fraglich, ob sie "jüdisch“ sind. Ein präsentierter Tischleuchter hätte genauso gut in einem christlichen Haushalt stehen können. Die Frauen auf der Fotografie "Drei Jüdinnen in Tracht“ wurden möglicherweise nur deshalb als Jüdinnen bezeichnet, weil das Bild aus der Sammlung des jüdischen Industriellen und Ethnologen Konrad Mautner stammte. Fraglich ist auch die Einordnung eines säuberlich bearbeiteten Lammknochens als "jüdisches Kultgerät“. Und eine 1950 als "Alter Jude“ inventarisierte burgenländische Keramik hat vielleicht einfach nur für den Inventarisierenden "jüdisch“ ausgesehen.

Man merkt, worauf das hinausläuft: Es sollen wieder einmal "Zuschreibungen“ hinterfragt werden. In den genannten Fällen macht das Sinn, doch es drängt sich der Verdacht auf, dass die Ausstellungsmacher - Ethnologie-Studenten der Universität Wien - die Unzulänglichkeiten der Inventarisierung zu einer Grundsatzfrage machen: Es scheint ja das Ziel der zeitgenössischen Kulturwissenschaften zu sein, Merkmale von Gegenständen, Menschen oder gesellschaftlichen Gruppen allesamt zu "Zuschreibungen“ zu erklären.

Natürlich muss in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, welche fatalen Folgen die Zuschreibung antijüdischer Stereotype letztlich hatte - nämlich Vertreibung und Holocaust. Als Konsequenz daraus jedoch die Existenz individueller oder kollektiver Eigenschaften überhaupt in Abrede zu stellen, hieße, das Kind mit dem Bade auszuschütten: Wenn alles nur noch "Zuschreibung“ ist, bleibt nicht viel übrig, womit sich Ethnologen (und Wissenschaftler generell) noch beschäftigen können.

Von Dreideln, Mazzes und Beschneidungsmessern

Jüdische Dinge im Museum

Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien

Bis 16. Oktober

Öffnungszeiten: Di. - So.,10 - 17 Uhr

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