Restauriertes Monument

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Bald 85 Jahre ist Fritz Langs größter Stummfilm aller Zeiten alt. Jahrzehnte lang war gut ein Viertel des epochalen Epos verschollen. Nun kann "Metropolis“ - fast - vollständig gesehen und entdeckt werden.

Superlativ ist eine Verniedlichung, wenn die Rede auf Fritz Langs "Metropolis“ aus 1927 kommt. 25.000 männliche und 11.000 weibliche Statisten sowie 750 Kinder hatte der Filmberserker eingesetzt. Für die Szenen rund um die Stadt Babel mussten 1100 Komparsen ihr Haar lassen - 5000 hatte Regisseur Lang "bestellt“. 620.000 Meter Film (380 Stunden) waren schließlich belichtet worden, in der Premierenfassung blieben davon 4189 Meter übrig, sechs Millionen Reichsmark verschlang der Film - und die produzierende Ufa war danach praktisch bankrott.

Historische Maßstäbe gesetzt

"Metropolis“ war nicht nur der teuerste Stummfilm aller Zeiten, er setzte Maßstäbe übers unmittelbare Genre hinaus: Keine filmische Endzeit-Story, die etwas auf sich hält, kommt ohne Rekurs auf das Mammutwerk aus. "Blade Runner“, "Krieg der Sterne“ oder auch Tim Burtons "Batman“-Filme - sie alle zitierten Fritz Lang. Mittlerweile ist unbestritten, dass "Metropolis“ zum kulturellen Gedächtnis der Menschheit gehört. Die UNESCO nahm den Film in die Liste des Weltdokumentenerbes auf.

Die Superlative betreffen nicht nur die Umstände der Produktion und der Ikonografie, sondern auch die des Misserfolgs und der Odyssee des Films, die erst mit der vorliegenden restaurierten Fassung, die demnächst auch hierzulande zu sehen ist, ein vorläufiges Ende findet. Nur 15.000 Zuschauer hatte der Film in den ersten vier Monaten seines Einsatzes - ein Bruchteil der Komparsenmassen. Alsgleich wurde an dem Riesending herumgeschnipselt, was das Zeug hält - auf 3241 Meter kürzte die Ufa das Werk, zuvor war schon die Fassung für den US-Markt auf amerikataugliche 3100 Meter verballhornt worden - unter anderem wurden alle Szenen, in denen die Büste mit dem Schriftzug der verstorbenen Hel herausgeschnitten: Man fürchtete, dass das US-Publikum ob der Ähnlichkeit mit "Hell (Hölle)“ auf eine falsche Fährte gelenkt werden könnte.

In der amerikanischen wie in der deutschen Kurzfassung fehlten wesentliche Handlungsteile, sodass sich dem Zuschauer der Verstümmelung Wesentliches an dem Film nicht erschließen konnte. Der Torso ging trotzdem als unsterbliches Monument in die Filmgeschichte ein - trotz umfangreicher Recherchen zu DDR-Zeiten ebenso wie bei einer großen Restaurierung anno 2001 blieb ein Viertel des Films unauffindbar.

Im Jahr 2008 wurde in Buenos Aires eine sensationelle Entdeckung gemacht: Unmittelbar nach der Premiere im Jänner 1927 hatte nämlich der Filmverleiher Adolfo Z. Wilson eine Kopie von "Metropolis“ erworben - noch vor den Kürzungen an der Ufa-Fassung - und nach Argentinien verbracht. Diese Kopie, wenngleich in schlechtem Zustand wurde in den 70er Jahren auf 16 Millimeter umkopiert - und diese Kopie tauchte eben 2008 auf. Der Filmzustand war teilweise inferior und das Bild wegen der 16-mm-Fassung beschnitten - aber nun liegt erstmals die fast vollständige Fassung vor - Schnittfolgen des bisherigen Materials konnten aktualisiert werden und wo Szenenbilder da waren, wurden sie - wenn auch mit sichtbar schlechter Bildqualität - in die bisherige Fassung eingefügt.

Ein Fall fürs "Lichtspieltheater“

2001 wie 2009 stand die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung hinter der Restauration - sodass nun eine filmische Zeitzeugenschaft vorliegt, die ihresgleichen sucht. Und auch wenn der Film schon auf DVD und Blu-ray erhältlich ist, so sollte gerade "Metropolis“ nicht im Heimkino, sondern noch in einem "Lichtspieltheater“ genossen werden.

Man hat "Metropolis“ inhaltlich zwar von politischer Naivität bis zu Verherrlichung des Führerkults alles Mögliche vorgeworfen. Vielleicht ist die Handlung ja auch zu sehr dem Zeitgeist geschuldet. Aber in Kombination mit der expressionistisch gewaltigen Bildsprache erweist sich dieses Monument auch heute noch als ungebrochenes Schaustück.

Joh Fredersen herrscht in der Oberstadt über Metropolis. In der Arbeiterstadt tief unter der Erde arbeiten Massen unter sklavenähnlichen Verhältnissen. Da verliebt sich Fredersens Sohn Freder in die Arbeiterführerin Marie aus der Unterstadt. Joh Fredersen beauftragt den Erfinder Rotwang, einen Roboter mit dem Aussehen Marias, der die Arbeiterschaft aufwiegelt, herzustellen.

Film- und Musikmonument

Joh Fredersens Frau Hel, die bei der Geburt Freders verstorben war, war einst die Geliebte Rotwangs, der sich mit einer Falschprogrammierung des Roboters an seinem einstigen Rivalen zu rächen sucht. Nach einer Beinahe-Apokalypse retten Freder und Maria die Stadt - die wütenden Arbeiter und der eiskalte Unternehmer Joh Fredersen versöhnen sich, weil "Hände und Hirn“ zusammengehören.

Mindestens so eindrucksvoll wie die Bildsprache und Gestik ist auch die Musik, welche der restaurierten Fassung von "Metropolis“ erst recht ihre Betörung verleiht: Die Originalkomposition von Gottfried Huppertz wurde gleichfalls rekonstruiert und vom Radio-Sinfonieorchester Berlin unter Frank Strobel eingespielt.

Ein Filmmonument mit einem Musikmonument ist aus dieser Rekonstruktion von "Metropolis“ geworden. Selten war es möglich, Filmgeschichte so hautnah im Kino zu erleben. Man kann nur nachdrücklich raten, sich diesen exzeptionellen Schau- und Hörerlebnis auszusetzen.

Metropolis

D 1927. Regie: Fritz Lang. Mit Brigitte Helm, Alfred Abel, Gustav Fröhlich, Rudolf Klein-Rogge, Fritz Rasp, Heinrich

George. Warner. 152 Min. Ab 30. 6.

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