Rückkehr zur Ehrlichkeit

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Am 8. April jährt sich der Geburtstag von Edmund Husserl zum 150. Mal. Als Begründer der Phänomenologie war "Zu den Sachen selbst" seine philosophische Maxime.

"Nicht von den Philosophien, sondern von den Sachen und Problemen muss der Antrieb zur Forschung ausgehen!" So lautete das philosophische Programm von Edmund Husserl. Die Devise "Zu den Sachen selbst" richtete sich gegen philosophische Spekulationen und Hypothesen, die die Welt erklären wollen. Husserl bezeichnete sein Philosophieren als "Phänomenologie", die beschreibt, wie sich Phänomene dem Beobachter präsentieren. Er verstand sein Denken als eine deskriptive Kleinarbeit, die sogar Postkästen und Tische als zentrale Motive philosophischer Reflexion ansah. In seinen Vorlesungen und Seminaren forderte er seine Studenten auf, statt der großen Scheine der Theorien das Kleingeld der exakten Beschreibung zu geben. Der Philosoph Hans-Georg Gadamer, der noch Vorlesungen bei Husserl gehört hat, berichtet von der eigentümlichen Faszination, "die wie eine Läuterung wirkte, eine Rückkehr zur Ehrlichkeit - eine Befreiung von der Undurchsichtigkeit überall herumgereichter Meinungen, Schlagwörter und Kampfrufe".

Selbstbesinnung und Selbstverantwortung

Ähnlich wie bei Ludwig Wittgenstein war die Philosophie für Husserl nicht nur reine Theorie, sondern er verstand sie als Berufung, die mit einer ethischen Verantwortung verbunden war. Philosophie sollte Erkenntnis aus Selbstbesinnung und Selbstverantwortung sein. Dies geschah in einer äußerst schwierigen Terminologie, die selbst philosophischen Kennern große Schwierigkeiten bereitet. Sie verfolgt keineswegs das Ziel, einen modischen, eigenen Jargon auszubilden, sondern ist vielmehr das Resultat eines Gelehrtenlebens, das Leben und wissenschaftliche Arbeit als eine unauflösliche Personalunion verstand. Manchmal zweifelte er an der Gültigkeit seines philosophischen Ansatzes, revidierte ihn, um dann wieder Bruchstücke der ursprünglichen Thesen aufzunehmen. Zeitweise sah er sich selbst als Sisyphos.

In seinen Reflexionen geht Husserl von der konkreten Lebenswelt der Menschen aus, die sich durch die natürliche Einstellung auszeichnet: Die natürliche Einstellung des Menschen, die Wahrnehmung der alltäglichen Welt ist für Husserl ein höchst komplexes Zusammenwirken verschiedener Komponenten, das auch Stimmungen, Befürchtungen oder die leibliche Befindlichkeit mit einbezieht - Faktoren, die von anderen philosophischen Strömungen vernachlässigt oder gar nicht beachtet wurden. Die Wahrnehmung von Gegenständen ist für Husserl ein Arbeits- und Annäherungsprozess, der bestimmte, je subjektive Horizonte eröffnet. Jeder lebt in einer Art "Sonderwelt", die den Menschen nur das sehen lässt, was für ihn von unmittelbarem Nutzen ist. Der Gesamtzusammenhang der Welt wird nur mehr in Segmenten wahrgenommen. So betrachtet ein Kraftwerkserbauer einen noch ungebändigten Fluss mit anderen Augen als ein Naturschützer oder ein Berufsfischer. Ihre spezifischen Interessen wirken sich auf ihre Wahrnehmungsweise des Flusses aus. Die Befangenheit der natürlichen Einstellung besteht somit in der Beschränkung auf die jeweilige Sonderwelt und vergisst den Bezug zum Weltganzen, zur einen Welt des umfassenden "Universalhorizonts". In der jeweiligen Sonderwelt herrschen Befangenheit, Vorurteile und Täuschungen vor. So kann sich etwa ein auf der Straße liegendes vermeintliches Geldstück als ein silberner Korken entpuppen. All die Intentionen, die mit dem vermeintlichen Geldstück verbunden waren, wie zum Beispiel ein auftauchendes Glücksgefühl, erweisen sich als Illusion und sind hinfällig.

Abkehr vom egoistischen Handeln

Der Philosoph ruft nun dazu auf, sich der spezifisch-subjektiven Sichtweise der Welt bewusst zu werden. Das kann nur geschehen, wenn die natürliche Einstellung gleichsam eingeklammert wird. Husserl verwendet dafür den griechischen Ausdruck epoché (Urteilsenthaltung), die dazu führt, dass alle bisher als gültig betrachteten Meinungen und Auffassungen aufgegeben werden. Erst nach der epoché erscheint die Welt in einem neuen Licht; sie ist erforderlich, um den Blick auf den Universalhorizont freizugeben.

Diese Einklammerung hat auch eine ethische Komponente: Sie bewirkt die Abkehr vom subjektiven, egoistischen Handeln und führt dazu, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen und sich auch um die anderen zu sorgen. Diese ethische Umkehr - der Übergang von einem Leben, das von den subjektiven Interessen geleitet wird, zu einem ethisch motivierten Leben - bedarf einer grundlegenden Einstellungsänderung. Gefragt ist eine aktive Gesinnung, die den Menschen als wollendes Subjekt sieht, das in die Umwelt eingreift und sie mit- und umgestaltet. Husserl spricht von dem "wunderbaren Phänomen der Selbstbestimmung". Diese Verantwortungsethik, die auch in den Werken von Hans Jonas oder Emmanuel Lévinas nachwirkte, fand er in den 20er Jahren als zu kalt und herzlos. Er erweiterte sie um die Ethik der Liebe. Husserl entdeckte nun im individuellen Ich ein "tiefes Zentrum der personalen Liebe", das von der Liebe anderer Menschen angesprochen werden kann. In welcher Weise nun die Reaktion auf dieses Angesprochensein erfolgt, bestimmt die personale Individualität: "Ich bin, der ich bin, und die individuelle Besonderheit zeigt sich darin, dass ich, als der ich bin, gerade so liebe, wie ich liebe, das mich gerade das ruft und jenes nicht."

Edmund Husserl

von Verena Mayer

C.H. Beck Verlag, München 2009

192 Seiten, E 13,30,-

Edmund Husserl wurde am 8. April 1859 geboren. Zu seinen wichtigsten Schriften zählen die rund tausend Seiten umfassenden "Logischen Untersuchungen".

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