Sagas, Crash Und Krise

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Islands lIteratur bIetet vIel: eInen nobelpreIsträger, sagas In altem und neuem gewand, erzählkunst und krItIsche blIcke auf polItIsche entwIcklungen.

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Islands lIteratur bIetet vIel: eInen nobelpreIsträger, sagas In altem und neuem gewand, erzählkunst und krItIsche blIcke auf polItIsche entwIcklungen.

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Kann ein kleines Land mit etwa 300.000 Einwohnern genug gute Literatur aufbieten, um das erhebliche Interesse von Verlagen, Kritik und Publikum auf der Frankfurter Buchmesse zu befriedigen? Ja, Island, heuer Gastland der Buchmesse, kann das in drei Bereichen: zunächst mit Halldór Laxness, seinem berühmten Literaturnobelpreisträger; von ihm ist fast alles zu empfehlen, und in einer ausgesuchten Werkausgabe sind die wichtigsten Romane in guten Übersetzungen zu haben. Langfristig mit den Sagas - da bietet sich in diesem Jahr die vierbändige Neuübersetzung an, die zugleich in mehreren Sprachen erscheinen wird, und kurzfristig im Bereich der jüngeren politischen Geschichte im Spiegel der Literatur. Sie steht traditionsgemäß im Fokus der Gastlandauftritte. Eine politische Erinnerungskultur ist in der übersetzten Literatur durchaus aufzuspüren. Mit Laxness, Einar Már Gudmundsson oder Einar Kárason konnten deutschsprachige Romanleser schon viel über die Verhältnisse im modernen Island erfahren. In einer lebendig erzählten Reykjavík-Geschichte von Pétur Gunnarsson ist jetzt Erhellendes darüber nachzulesen, wie im Zweiten Weltkrieg mit den stationierten Truppen Geld ins Land kam, wie nach dem Krieg der Marshallplan bestimmte Schlüsselbranchen voranbrachte und im Kalten Krieg starke wirtschaftliche Impulse durch die Präsenz des US-Militärs kamen. Reykjavík ist auch das Zentrum eines Roman-Klassikers von Indridi Thorsteinsson. Dieser Roman über die problematische Amerikanisierung der Isländer bietet literarische Innenansichten von der Spannung zwischen Stadt und Land.

Kalter Krieg

Die ökonomische Anbindung an die Welt blieb nicht ohne Wirkung auf die isländische Kultur: "Die Geschichte der jetzt lebenden Isländer ist die Geschichte des Kalten Krieges", schreibt Andri Snaer Magnason in seinem kritischen Essaybuch "Traumland". Angesichts des damals, im Jahr 2006, noch bevorstehenden Rückzuges der Amerikaner spricht er ironisch von einer "unmittelbaren Friedensbedrohung" für die isländische Wirtschaft. Magnasons essayistischer Diskurs wurzelt in einer Mentalitätskritik, die das politische Handeln der Eliten als Folge einer unbewältigten Moderne betrachtet: "Wir sind gefangen in einem Denkmuster, das da lautet: dieses Land muss verdammt nochmal aus seinem Grasdachhütten-Dasein befreit werden." Und dieses paranoide Denken sei Ursache permanenter wirtschaftspolitischer Überkompensationen.

Magnason stören explizit die heroischen Pläne der nationalen Energiebehörde. Das Rezept der Energiemagnaten gegen "das Grasdachhütten-Dasein" ist eine inselweite Ausbeutung der Wasserenergie zugunsten der Aluminiumindustrie. Der Autor beginnt seinen Exkurs zu diesem Großprojekt mit dem Hinweis auf den 1970 erschienen Essay "Krieg gegen das Land" von Halldór Laxness. Darin problematisiert Laxness die Umweltzerstörung infolge der Wasserkraftwerke und erweist sich -er war immer schon Seismograf der isländischen Krisen -auch als literarischer Sekundant der insularen Ökologiebewegung.

Ein Lehrstück in Sachen Krise und Kritik in Island ist Laxness' Roman "Atomstation" von 1948, eine große Polemik zur Auseinandersetzung um die Militärstützpunkte in Island, in der die politischen Entscheidungsträger einer galligen Gesellschaftskritik unterzogen werden und als Volksverräter und Verkäufer des Landes erscheinen. In Halldór Gudmundssons maßstabsetzender Laxness-Biografie ist nachzulesen, welche Reaktionen der zwar schon berühmte, aber machtlose Schriftsteller durch diese literarische Attacke auf sich zog: in den USA eine Rufmordintrige wegen angeblicher Steuerhinterziehung, in Island den Entzug des staatlichen Stipendiums.

Eine maximale Krisenerfahrung erleben die Isländer seit 2008, dem ersten Jahr der globalen Finanzkrise und des isländischen Systemabsturzes. Wie sehr dieser auch auf dem von Magnason genannten Grasdachhütten-Komplex beruhte, beschreibt der international bekannte Autor Einar Már Gudmundsson in seinem Essay-Band "Wie man ein Land in den Abgrund führt". Hier breitet er das gesamte Spektrum der dramatis personae im neoliberalen Finanzdrama Island aus, in Klarnamen.

Gudmundssons aktueller Roman "Vorübergehend nicht erreichbar" heißt im Untertitel "Eine Liebesgeschichte". Aber was romantisch klingen mag, führt direkt ins Milieu von Drogensucht und Alkoholismus, den der Dichter sich in einem schmerzhaften Erkenntnisprozess selbst eingestehen musste. Wie diese persönliche Krisenerfahrung zu überwinden war, zeigt ein filigranes Dialogspiel zwischen Briefwechsel, Tagebuch und dem Lobpreis der Liebe, die am krisenhaften Rand der Gesellschaft vor allem eines ist: Solidarität.

Stämme und Familien

Kritik zu üben ist in einem so kleinen Land wie Island schwer. Diese Erfahrung kennt auch Steinar Bragi, ein Autor der jüngeren Generation, der lange Zeit im Ausland verbrachte und die isländische Gesellschaft eher von Stämmen und Familien beherrscht sieht als von demokratischer Politik. Sein Roman "Frauen" sticht auch ästhetisch aus der aktuellen Erzählprosa heraus. Es geht um eine junge Isländerin, die nach ihren New Yorker Jahren plötzlich einen alleszerstörenden Horror in einer Luxuswohnung in Reykjavík erlebt. Vordergründig am Exempel einer alkoholbedingten Paranoia entwickelt, geht es in diesem surrealen Alptraum exemplarisch um die mentale Zurichtung der hippen Isländer im Zeichen des Geldes.

Finden sich bei Andri Snaer Magnason die Ironie als Weg 4 zur Selbstkritik, bei Steinar Bragi eine psychedelische Performance des kapitalistischen Zynismus und bei Einar Már Gudmundsson wohlgezielte Tiefenbohrungen zu den letzten Ressourcen der Solidarität, so bietet der Spötter und Provokateur Hallgrímur Helgason einen epischen Rundumschlag der zynischen Menschwerdung. Erzählt wird aus der Perspektive einer alten Frau, die kettenrauchend in einer Garage ihr Jahrhundert in Island und wohlgemerkt auch in der Welt an sich vorbeiziehen lässt. Zwar entgeht der Autor nicht immer seinen eigenen männlichen Projektionen im Porträt dieser Dame, dafür aber rückt er die isländische Frau in eine ausgesprochen kämpferische Position.

Existenzielle Abstürze

Der Bankangestellte Gudmundur Óskarsson debütierte mit der Fallstudie einer existenziellen Erschütterung durch den Bankencrash. Sein Buch "Bankster" besteht aus Tagebuchaufzeichnungen eines jungen, typischen Mittelklassebürgers, der infolge des Finanzabsturzes arbeitslos wird. Subtil wird entwickelt, wie seine auf falsche Zukunftshoffnungen gebaute Existenz unaufhaltsam in den Ruin schlittert. Das Erwachen kommt langsam, der Aufruhr, die sogenannte Küchenrevolution, findet hier nur kurz am Rande statt.

Die jüngere Generation ist auch in Island literarisch mit sich selbst beschäftigt. Eindrucksvoll beschreibt Huldar Brejdfjörd die Selbstinitiation eines jungen Mannes auf seiner einsamen Rundreise durch das Land, wobei dieses Buch im Original schon 1998 erschienen ist. Eirikur Örn Norddahl debütierte im letzten Jahr mit einer schaurig-schönen Geschichte von einem Jüngling in Reykjavík, der sich aus Liebeskummer und Einsamkeit mit einer giftigen Zimmerpflanze antörnt, und Audur Jónsdóttir zeigt ihre Heldin im alterstypischen Wechselspiel von isländischer Atmosphäre und kosmopolitischer Fliehkraft, während Sigurbjörg Thrastardóttir in einem stimmungsvollen Liebeslanggedicht von Reykjavík nach Berlin swingt und einen anhaltenden lyrischen Eindruck hinterlässt.

Lyrik hat in Island früher als eine uralter Tradition verhaftete Volksübung eine größere Rolle gespielt. Über den holprigen Weg in die Moderne gibt ein Sonderband der Zeitschrift "die horen" von Eysteinn Thorvaldsson und Wolfgang Schiffer Auskunft, in der ausführlich und kompetent die Geschichte der sogenannten Atomdichter beschrieben wird, die in der Mitte des letzten Jahrhunderts um die Freiheit von Versmaß und Ausdruck kämpften. Einen anschaulichen historischen Rundblick bietet der Band "Isländische Lyrik" von Silja Adalsteinsdóttir, Jón Bjarni Atlason und Björn Kozempel -hier reicht das Spektrum von der "Weissagung der Seherin" aus der Edda bis zu Ingunn Snaedals Gedicht "So kotzt eine Dame", Anfang des 21. Jahrhunderts.

Bewährte Instanzen

Die Königsdisziplin der Gegenwart ist der Roman, und im Roman herrscht trotz vieler Erneuerungsversuche auch in Island der in die Jahre gekommene Erzähler. Gerade die etablierten Autoren verlassen sich auf die bewährte Instanz. Jón Kalman Stefánsson erzählt auktorial die schicksalhafte Reise zweier Männer durch Einsamkeit, Naturgewalt und wahre isländische Tristesse und belebt damit einen existenzialistischen Stil. Bei Sjón führt la mode rétro des Erzählens in eine bestens recherchierte historische Etappe des 17. Jahrhundert, wo der Gelehrte, Autodidakt, Runenkundler und Dichter Jónas Pálmason sich den Zorn der Inselgewaltigen zuzieht und sein Glück erst einmal im sagenhaften Kopenhagen versucht. Die Exotik des mittelalterlichen Kopenhagen steht in Sjóns mimetischer Prosa in einem spannungsvollen Kontrast zur Darstellung christlicher Inselweltbilder, insbesondere zur mittelalterlichen Ökologie des Nordens mit ihren absonderlichen Vorstellungen von der Welt und ihren Wesen.

Einar Kárason weist den Weg in die Welt der Sagas. Sein Roman mit wechselnden Erzählern ist überraschend modern konzipiert, führt direkt ins 14. Jahrhundert der Rachekriege, in die Zeit, als der große Dichter und Krieger Snorri Sturluson in Unterwäsche hingemordet wurde, nicht der einzige und letzte seines Geschlechts. Der Roman mischt in das germanische Heroenkonzept geschickt eine aufgeklärte Kritik am Haudrauf-Mannestum und eignet sich als Ergänzung zur Lektüre der Sagas, deren Edition und PR der Spektakel-Höhepunkt des isländischen Gastauftrittes werden. Die Sagas werden vierbändig in mehrere Sprachen neu übersetzt und bieten einen Zugang zu jener großen Überlieferung, die angeblich für viele Isländer noch heute zur kulturellen Grundausstattung gehört. Aber Kárason und ein bisschen Edda täten es vielleicht auch, und ein schärferer Blick auf Krise und Crash 2008 ff.

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