Schreiben im geteilten Himmel

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"Ich bewundere die Fähigkeit Christa Wolfs, in einem Land, wo Meinungsäußerungen nur begrenzt möglich sind, ein Buch zu schreiben, das für und gegen beide Ansichten (Ost und West) argumentiert.“ Diesen Satz schrieb ich als Schülerin über Christa Wolfs Roman "Der geteilte Himmel“, dessen Lektüre mich so verstört und fasziniert hatte, dass mir mein Schulaufsatz mit 17 Seiten ziemlich lang geriet. Es gab so viel dazu zu sagen. Und das Thema war so komplex. Das fühlte ich, ohne viel zu wissen, und mit diesem Gefühl war ich schon mittendrin in der Ambivalenz, die die Rezeption der Werke von Christa Wolf über Jahrzehnte kennzeichnete. Denn Wolf schrieb anerkannte Literatur, war aber im Unterschied zu anderen Schriftstellern, die die DDR verließen, eine, die blieb. Aber sie war auch eine, die dachte, Kritik äußerte und mit ihren Werken, wie beispielsweise "Der geteilte Himmel“ (1963), "Nachdenken über Christa T.“ (1968) und "Kassandra“ (1983), den Parteifunktionären nicht unbedingt in die Gesinnung schrieb. Zu subjektiv und psychologisch schienen jenen nämlich Wolfs Texte, die nicht nur die sozialistische Gesellschaft, der das ideologische Augenmerk der DDR-Funktionäre und Literaturdoktrinen galt, sondern auch Leben und Denken der einzelnen in den Blick nahmen - und die Unmöglichkeit, die Ansprüche von Ich und Gesellschaft zu vereinbaren.

Den einen war die von Feminismus und Marxismus geprägte Autorin Aufdeckerin patriarchaler Machtstrukturen und Hoffnungsträgerin für eine gerechtere Welt, die anderen warfen ihr je nach ideologischer Positionierung zu viel Subjektivismus oder zu wenig Zivilcourage vor. In den Debatten um ihr Werk spiegelt sich, was auch in den Auseinandersetzungen mit Peter Handke erkennbar ist: Es geht nicht nur um Literatur. Sichtbar wurde das vor allem im "deutsch-deutschen Literaturstreit“, den Christa Wolfs Erzählung "Was bleibt“ 1990 auslöste. Dass sie dieses Buch schon 1979 geschrieben, aber erst im Herbst 1989 überarbeitet und veröffentlicht hatte, feuerte die Kritik an: Zu spät, hieß es unter anderem, komme diese Selbstanklage. In diesem literarischen Text erzählt eine Ich-Erzählerin einen Tag ihres Lebens und ihre Angst und Unzulänglichkeit angesichts der Präsenz der (ungenannten) Staatssicherheit (auch als innerer Zensor). Wenn man den Text denn autobiografisch lesen möchte, ist Wolfs Selbstkritik darin nicht zu überlesen. Zudem hätte sich so manch einer ihrer Kritiker an der Art und Weise, wie sich die Autorin immer wieder selbstkritisch äußerte, ein Beispiel nehmen können. Aber Christa Wolf war zum Anlassfall geworden: Deutschland arbeitete an ihr die Risse jener Einheit ab, die herzustellen bis heute nicht gelungen ist. Das Land ist erfahrbar immer noch ein "geteilter Himmel“. Dass Wolf, die selbst bespitzelt wurde, erst spät zugab, dass sie von 1959 bis 1962 von der Stasi als "Inoffizielle Mitarbeiterin“ geführt wurde, gab den Kritikern frisches Futter. Doch Wolf war wohl kaum brauchbar: Sie denunzierte nicht.

Was bleibt? Komplexe literarische Werke, mit denen sich Wolf in die deutsche Literaturgeschichte eingeschrieben hat. Die Erinnerung an eine Autorin, die sich mit Literatur und Wortmeldungen nicht einfach und opportun der jeweils als politisch korrekt geltenden Masse angeschlossen hat.

Mit Christa Wolf starb am 1. Dezember eine Frau, die einen Störfall für jene Gesellschaften darstellte, die die Welt vereinfachend und populistisch in Gut und Böse teilen.

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