Unnütz wie eine Perlenkette

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Karl Lubomirski vereinigte sieben seiner Gedichtbände zu den "Propyläen der Nacht".

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Karl Lubomirski vereinigte sieben seiner Gedichtbände zu den "Propyläen der Nacht".

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Ein österreichischer Dichter, der seit 40 Jahren in Italien lebt, legt Rechenschaft ab. Karl Lubomirski hat seine Gedichte dieser 40 Jahre unter dem Titel "Propyläen der Nacht" nun in einem Band vereinigt.

Das Wort "Propyläen" (Plural) bedeutet: "Vorhalle zu einem griechischen Tempel". Wie kann die Nacht eine Eingangshalle haben? Da liegt schon die Zauberhand dieses Dichters auf der Sprache. Karl Lubomirski nimmt der Sprache nicht ihre Vermittlungsfunktion; er schreibt keine formal komplizierten Gedichte; er glaubt nicht, dass es die Aufgabe eines jeden Dichters sei, die Sprache zu zerstückeln. Einfach, schlicht scheinen seine kleinen Gebilde. Ihr Reichtum entfaltet sich wie die Schönheit der hereinbrechenden Nacht in der Wüste: "Morgens komm ich von weit her/ als brächten mich meine Toten/ in ihren Mohnblumenbooten/ über ein breites Meer/ zurück an hellere Ufer/ eh sie in einer Blumenwoge/ wenden."

Das vorliegende Buch, erklärt Lubomirski mit großer Bescheidenheit, sei "nicht zum Auslesen geschrieben. Es besitzt weder Einheit noch Wissenswertes. Es ist unnütz im weitesten Sinn. So wie die Tropfsteinhöhlen und Perlenketten unnütz sind. Es ist in 40 Jahren Erlebnis um Erlebnis gewachsen und wiederholt sich da und dort wie jede Biographie. Vielleicht ist es nur ein Gespräch von Gedichten untereinander und ich war der Zuhörer". Ein "Gesamtwerk" zu Lebzeiten, als solches bezeichnet von einem 61-Jährigen, der sich guter Gesundheit erfreut: Ist das nicht absurd? Wer sein ganzes Leben "bürgerlich" arbeitend verbracht hat - Lubomirski hätte von niemandem die Finanzierung einer reinen Dichterexistenz angenommen -, darf nach so vielen Jahren geduldigen Hineinhorchens in sich durchaus von einem Lebenswerk sprechen: "Die Gedichte kommen zu mir, nicht ich zu ihnen. Es sind Orte, Augenblicke, Konstellationen, die zu mir sprechen, mir bei Tag oder Nacht, manchmal häufig, dann wieder in großen Abständen, Besuch abstatten. Ich schreibe diese rohen Entwürfe nieder und lasse sie liegen, bis ich sie vollständig vergessen habe. Erst wenn sie mir ,fremd' geworden, kann ich vom Sprachlichen her die Feile anlegen."

Der Einblick in das Wesen des Schöpferischen, den Lubomirski hier gewährt, enthüllt zweierlei: Den Funken kann man nicht herbeizwingen - ein schöpferischer Mensch muss Geduld mit sich haben. Und er muss, wenn ihm ein Wort, ein Bild, ein Gedanke zugeflossen ist, hart arbeiten, um ihm die bestmögliche Form zu geben. Diese Form ist in den Gedichten Lubomirskis zunehmend die Kürze.

Sieben Bände Einzelerscheinungen sind in den "Propyläen der Nacht" vereint, ergänzt durch Unveröffentlichtes aus den Jahren 1996 bis 2000, dem er den Titel "Vogel über brennendem Wald" gegeben hat: Ein Bild der Position des Dichters. Er überblickt aus der Vogelperspektive das Leid des Daseins, einen brennenden Wald.

In Lubomirskis Gedichten geht es nicht um "schöne Bilder", Sprache nur als Musik. Er fasst in Worte, was der Alltag nicht zu Wort kommen lässt: Erinnerung und Sehnsucht, Ringen um Erkenntnis, Be-Sinnung. Alles ist sinnlich erfasst, wie etwa im Kurzgedicht "Strauch": "Du duftest/ als wüsstest du/ von Blinden." Der Naturferne des heutigen Menschen hält Lubomirski sein genaues Hinsehen entgegen. So heißt es in "Blüte in Meran": "Die Bäume sind außer sich/ als wäre ein Gott in sie gefahren." In zehn Sprachen wurden diese Gedichte schon übersetzt. Überall gibt es Menschen, denen diese leise, feine Stimme etwas bedeutet. Hier hat ein Mensch Persönlichstes in die Sphäre des allgemein Gültigen zu heben vermocht. Die Vorstellung vom Paradies, das er in die Worte "Nie mehr einsam" fasst, wird den Leser begleiten. "Die Propyläen der Nacht" sind kein Buch der Hoffnungslosigkeit, sondern der Stille, das den Leser an viele Orte mitnimmt und zu sich selber führt.

Propyläen der Nacht. Gedichte 1960-2000.

Von Karl Lubomirski Edition Atelier, Wien 2000, 352 Seiten, brosch., öS 298,-/e 21,66

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