Vergebliches Mahnen, vergebliches Lieben

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Glanzvoller Saisonauftakt am Tiroler Landestheater: Brigitte Fassbaender gelang eine außerordentliche Inszenierung von Hector Berlioz’ „Les Troyens“. Sie begegnet der monumentalen Grand Opéra mit zwei Grundsatzentscheidungen: einem französischen Dirigenten sowie szenischer Reduktion.

Es widerspricht Brigitte Fassbaenders Stil, große Opern um des Renomées willen auf die Tiroler Landestheaterbühne zu hieven. Wenn sich ein außergewöhnliches Werk aber in der Gedankenwelt und Musikalität der Prinzipalin eingenistet hat, unverdrängbar, steht das Haus vor einer Herausforderung.

Zum Saisonbeginn hat Fassbaender „Les Troyens“ von Hector Berlioz angesetzt und inszeniert, nach des Komponisten eigenen Worten eine Oper „von imponierender Größe und extremer Vielfalt der Stimmungen“. „Unerreichbar“ wollte er sie machen, und tatsächlich wurde sie erst 1969, hundert Jahre nach Berlioz’ Tod, erstmals vollständig aufgeführt.

Groß und schicksalhaft

Die Grand Opéra in fünf Akten, die alles will, führt in das vom Krieg erschöpfte Troja und das blühende Karthago, es geht um den Umgang mit einem Kolossalstil und dennoch poetischen Bildern, um die Gleichzeitigkeit von Martialischem und zutiefst verletzten Psychen. Alles ist groß, schicksalhaft und visionär, mit Historie und Heldengestus, Tableaus, Chormassen und Ballett ausgestattet. In einer romantischen Gefühlswelt verankert Berlioz Anklänge an Gluck, den Klassizismus von Cherubini und Spontini, den Gestus der Revolutionsoper und sein spezielles Verhältnis von Musik und Sprache.

„Les Troyens“ sind am Tiroler Landestheater glanzvoll gelungen. Brigitte Fassbaender begegnet dem Werk mit zwei Grundsatzentscheidungen: einem französischen Dirigenten sowie szenischer Reduktion und Konzentration. Die zwei Teile des Werkes sind streng voneinander getrennt, das Kriegsgetümmel erschreckt, auch wenn es nicht ins Bild gebracht wird, der Massenselbstmord der Trojanerinnen geht ebenfalls ohne naturalistisches Blutvergießen ab. Im Mittelpunkt stehen die tragischen Schicksale von Cassandre und Königin Didon. Das Troja-Bild zwängen Bühnenbildner Helfried Lauckner und Lichtgestalter Johann Kleinheinz in ein beklemmendes dunkles Dreieck mit zwei Sehnsuchtsöffnungen auf das Himmelsblau, die Klaustrophobie einer belagerten Bevölkerung teilt sich mit. Krieg ist Gegenwart. Die Trojaner – fabelhaft singend und agierend der Chor – erliegen der griechischen Täuschung, Cassandre mahnt vergebens.

Vorsichtiges Vorgehen

Strahlend hell der Blick auf Karthago, eine Terrasse mit Palme über weitem Meereshorizont. Michael D. Zimmermann wechselt in den Kostümen vom Tristen ins Feudal-Modische. Fassbaender hat vorsichtig gestrichen, Chorwiederholungen und eine Ballettmusik, die berühmte „chasse royale“, die königliche Jagd, füllt sie geistreich mit Schach und Kinderspiel. Im Reich Didons herrscht Friede, Wohlstand, Heiterkeit und Eleganz, und wenn ein kriegerischer Nachbar lästig wird, ist Énée (Aeneas) zur Stelle. Didon liebt, verzehrend, fatal, weltbewegend, und ritzt sich an Stacheldrahtzäunen, die im letzten Bild die Mauern Trojas zitieren und Didon isolieren, die Pulsadern auf. Dem Leading-Team gelingt es, die Größe der Oper statt in äußerlichem Pomp in überzeitlich menschlichen, philosophischen, politischen und religiösen Konstellationen aufgehen zu lassen.

Originalsprache? Ja, natürlich!

Dirigent Nicolas Chalvin kann das französische Idiom dem Tiroler Symphonieorchester entlocken, Berlioz’ farbreiche, stimmungssatte, keineswegs bequeme, sondern durchaus auch aufgeraute Klangwelt teilt sich, wenn auch besetzungsmäßig reduziert, eindringlich mit. Dass erstklassig und in der Originalsprache gesungen wird, gehört am Tiroler Landestheater bekanntermaßen zum Standard. Michelle Breedt, Gast aus großen Häusern, singt die Didon überragend, schenkt ihr mit bewundernswerter Stilsicherheit und zauberischen Klängen alle Facetten einer reichen Gefühlswelt. Daniel Magdal begegnet den hohen Ansprüchen des Énée mit heldentenoraler Präsenz.

Mit expansivem, glühendem Sopran gelingt Jennifer Chamandy eine flammende Cassandre. Lysianne Tremblay als tussige, klangsatte Anna, Brenden Gunnell (Iopas), tenorsüß wie Martin Mitterrutzner (Hylas), sind ebenso fabelhaft besetzt wie Bernd Valentin (Chorèbe), Michael Dries (Panthée), Ulrich Burdack (Priam), Marc Kugel (Hector), Susanna von der Burg (Andromaque) und die übrigen.

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