6850210-1976_43_13.jpg
Digital In Arbeit

Die Geschichte einer Oper

Werbung
Werbung
Werbung

Das Gewichtigste und Erheilendste hat Romain Rolland, der große Mittler zwischen Deutschland und Frankreich, bereits 1904, ein Jahr nach dem Tod des Komponisten, in einem knapp 50 Buchseiten umfassenden Essay gesagt: „Ob Berlioz es gewollt hat oder nicht, er hat der Kunst prachtvolle neue Wege geöffnet. Er hat der Musik Frankreichs den wahren Weg gezeigt, der seinem Geist entsprach, er hat ihm seine Bestimmung offenbart, die bisher verkannt war.“ Für den Fremden erscheint aber Berlioz eher wie ein erratischer Block, wie ein gewaltiger Fremdkörper innerhalb der französischen Musiklandschaft. Zwar konzediert auch Rolland, daß ein Übermaß der eingesetzten Mittel, die „zermalmende Größe mancher Stücke“, auf einen Hang zur Gigan-tomanie hinweisen, doch habe Berlioz auch mächtige, unvergängliche Beispiele der Schönheit hinterlassen. Zu ihnen zählt vor allem Berlioz' größtes Werk, die „Trojaner“ („Les Troyens“), das einer der Biographien des Komponisten als „die größte und unglücklichste französische Oper“ bezeichnet.

Berlioz ist neben Wagner, mit dem er jedoch nichts zu tun hat, der bedeutendste Vertreter des internationalen Musiktheaters. Bereits der Dreißigjährige hatte ein „Super-werk“ geschaffen, was Kühnheit der Form, Originalität der Aussage und Instrumentationseffekte betrifft, die ' „Symphonie fantastique“. Acht Jahre später folgte das erste Opernwerk, „Benvenuto Cellini“, 1846 „Fausts Verdammung“, ein Mittelding zwischen Oratorium und Oper, dazwischen die berühmte „Totenmesse“, und für die Weltausstellung 1855 in Paris ein von 950 Mitwirkenden ausgeführtes „Te Deum“.

Der Plan zu den „Trojanern“ entstand Anfang 1856 in Weimar in der Nachbarschaft Liszts und der Fürstin Karoline Wittgenstein, die Berlioz ermunterte, aus seiner Leidenschaft für Shakespeare und seiner Liebe zur Antike etwas ganz Neues, Grandioses zu schaffen. Berlioz arbeitete begeistert, aber mühsam, an dem riesigen Textbuch für, eine Oper in zwei Teilen: „Der Untergang Tro-jas“ und „Die Trojaner in Karthago“. Zwei Jahre später war auch die Partitur beendet.

Nun begann der Kampf um die Aufführung des Monsterwerkes, das ungekürzt zwei Abende von Wagner-Format beansprucht hätte. Weder Wagner noch der viel mächtigere Meyerbeer stellten sich dagegen, obwohl Berlioz auf beide losging und Wagner — wie früher schon Gluck — des „Verbrechens an der Musik“ bezichtigte, weil sie diese der Sprache unterordneten. Die Musik von Berlioz jedoch sollte nach seinen eigenen Worten „frei, stolz, herrschend und erobernd“ sein. Heine, damals einflußreicher Musikkritiker in Paris, nannte Berlioz „eine ungeheure Nachtigall, eine Lerche von Adlergröße“. Andere schimpften auf ihn und erklärten ihn für größenwahnsinnig.

Napoleon III. (Prinz Louis) ordnete die szenische Präsentation an (konzertante Fragmente waren schon früher zu hören, etwa in Baden-Baden). So kam es zur Premiere vom 4. November 1863 im Pariser „Theätre lyrique“. Aber in welcher Form! Mit welchen Opfern! Nur der zweite Teil wurde aufgeführt, aus dem noch neun Stücke herausgerissen worden waren. Der ganze erste Teil wurde durch einen Sprecher, Musikfragmente und vorgelesene Textteile ersetzt. Mehr als 30 Zeitungen berichteten über das spektakuläre Werk, die meisten enthusiastisch, nur fünf oder sechs gehässig. Aber die Operndirektoren bekamen es mit der Angst zu tun, vor allem wegen des Umfangs. So kam die erste vollständige Aufführung erst am 5. und 6. Dezember 1890 unter Felix Mottl in Karlsruhe zustande (Berlioz war längst tot). 1913 folgte, mit einer auf einen überlangen Abend zusammengezogenen Fassung, Stuttgart, — Darnach verließ Berlioz' Opus Magnum den Kontinent, wie seinerzeit Aeneas den seinen: „Die Karthager“ wurden 1955 in Boston, 1957 in Covent Garden und 1973 an der Metropolitan aufgeführt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung