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Fausts Verdammung

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Romain’Rolland sagte einmal von Hector Berlioz, kein bedeutender Komponist sei so unbekannt wie er (das hat sich 100 Jahre nach seinem Tod kaum geändert), und der Berlioz-Biograph Hans Kühner bezeichnet ihn als „den größten, wenn auch keineswegs geliebtesten Repräsentanten der französischen Musik”. Berlioz ist aber nicht nur als Komponist, sondern vor allem als Bühnenautor ein überaus merkwürdiger Fall. Fürs Musiktheater schrieb er „Benvenuto Cellini”, die zweiteilige Oper „Les Troyens” und „Beatriče et Benedict”. Doch tendieren auch mehrere seiner Symphonien, symphonischen Dichtungen und Kantaten zur szenischen Darstellung.

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Romain’Rolland sagte einmal von Hector Berlioz, kein bedeutender Komponist sei so unbekannt wie er (das hat sich 100 Jahre nach seinem Tod kaum geändert), und der Berlioz-Biograph Hans Kühner bezeichnet ihn als „den größten, wenn auch keineswegs geliebtesten Repräsentanten der französischen Musik”. Berlioz ist aber nicht nur als Komponist, sondern vor allem als Bühnenautor ein überaus merkwürdiger Fall. Fürs Musiktheater schrieb er „Benvenuto Cellini”, die zweiteilige Oper „Les Troyens” und „Beatriče et Benedict”. Doch tendieren auch mehrere seiner Symphonien, symphonischen Dichtungen und Kantaten zur szenischen Darstellung.

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Seit 1826, dem Erscheinen von Gėrard de Nervals Übertragung von Goethes „Faust” war Berlioz mit der ihm eigentümlichen Begeisterung für alles Erhabene und „Romantische” von der Dichtung entflammt und entschlossen, in irgendeiner Form von ihr Besitz zu ergreifen. Damals schrieb er acht Musiknummern zu „Faust”, die er 1846 zu einem abendfüllenden szenischen Oratorium ausbaute, dessen Handlung um folgende Schauplätze zentriert ist: Ebene in Ungarn mit Bauerntanz und Räkoczi-Marsch (eine Reminiszenz an den Osterspaziergang), Fausts Studierstube (in Norddeutschland), Auerbachs Keller in Leipzig, Ąm Ufer der Elbe (Sylphiden- und Traumszene mit der Erscheinung Margarethes), In Gret- chens Zimmer, Wald und Höhle — Höllenfahrt (von Goethes „Faust” abweichend), Verklärung Margarethes. — Die dramatische Legende „Fausts Verdammung” hat Berlioz in vier Teile gegliedert, die durch eine Pause in der Halbzeit (nach einer Stunde) voneinander getrennt sind. Von Berlioz’ Musik sind, außer dem Räkoczi-Marsch, hauptsächlich die Ballettnummern bekanntgeworden, von größtem Reiz sind dank ihres originalen melodischen Einfalls sowie der sparsamen, aber charakteristischen Begleitung, die zwei großen „Arien” Margarethes: der „König in Thule” und „Meine Ruh’ ist hin”. Doch beeindrucken auch mehrere Instrumental- und Ensemiblenum- mern durch die originale Erfindung, ihr großes Format (in jeder Hinsicht) und ihre Darstellung in meist reinen, ungemischten Instrumentalfarben.

Wer ein Werk von Berlioz dirigiert, inszeniert oder ausstattet, muß sich von allen konventionellen Gpern- vorstellungen befreien und auch einige allgemeingeltende Maßstäbe über Bord werfen. Hier gelten — ähnlich wie bei Wagner — andere Gesetze und Kriterien. Die Interpreten dürfen sich zum Beispiel vor einer großflächigen Historienmalerei — etwa im Stile eines Delacroix, Repin oder Munkacsy — nicht scheuen; sie dürfen ohne logische Begründung Menschenmassen auf- treten und sie wieder verschwinden lassen; man darf sich sogar gewisser Grottenbahneffekte bedienen (indem man zum Beispiel die Gesichter einer ganzen Schar Lebender sich in phosphoreszierende Totenköpfe verwandeln läßt), kurzum: Man darf als Realisator der Berliozschen Visionen nicht kleinlich sein und muß darauf vertrauen, daß auch das Publikum davon gepackt ist und „mitgeht”.

Adolf Rott hat sieli an dieser schwierigen Aufgabe nicht zum erstenmal versucht. Er hat „Fausts Verdammung” 1967 in Graz und im vergangenen Jahr in Genf inszeniert (die konzertante Wiener Erstaufführung der Faust-Musik fand vor rund 100 Jahren im Redouiensaal statt). Rott hat Phantasie und die Fähigkeit, diese in Bilder und Aktionen umzusetzen. Er konnte für seine Intentionen kaum einen besseren Mitarbeiter finden als Wolfram Skalicki, von dem wir schon viel Gutes gesehen haben. Ein Königsgedanke war es, alle im Freien spielenden Szenen vor einem riesigen, mit dunklen, grauschwarzen Regenwolken verhangenen Himmel abrollen zu lassen; es war auch richtig, bei „Soloszenen” den Chor, als Meoschenmasse, im Hintergrund zu zeigen; es war ‘ richtig, Auerbachs Keller nur durch Projektionen anzudeuten und die üblichen Saufspäße zu eliminieren. Nur auf die allzudeutlich sichtbaren Pferde des Höllenritts hätten wir lieber verzichtet und uns mit Projektionen begnügt.

Die berühmten Tanznummern realisierte Dia Luca. Die drei Hauptpartien waren mit Christiane Sorell (die man wohl noch nie so ausdrucksstark gesehen und gehört hat), mit Frans van Dahlen als Faust und Ernst Gutstein bestens besetzt. Carl Melles scheint sich mit der Partitur eingehend beschäftigi zu haben und konnte sie mit dem Volksopernorchester — trotz relativ geringer Anzahl der Spieler — sehr eindrucksvoll realisieren. Im ganzen: Ein bedeutender Premierenabend der Volksoper und eine interessante Bereicherung ihres Repertoires.

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