Was Hartheim heute bedeutet

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Kreativität ist keine Sache des Intelligenzquotienten.

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Kreativität ist keine Sache des Intelligenzquotienten.

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Mit dem Namen Hartheim ist eine tragische Geschichte verbunden: Im Jahr 1898 gründete der Oberösterreichische Landeswohltätigkeitsverein im Renaissanceschloß Hartheim zunächst eine Stätte zur Betreuung geistig behinderter Menschen, damals "Asyl für die Armen, Schwach- und Blödsinnigen, Idioten und Cretinösen" genannt. In den dreißiger Jahren wurden dort 180 "Pfleglinge" betreut. Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten kamen reformpädagogische Entwicklungen in Hartheim jäh zum Stillstand. Nach der Enteignung wurde Hartheim in eine Vernichtungsstätte umfunktioniert, mehr als 30.000 Menschen wurden Opfer dieser menschenverachtenden Politik, die es sich zur Aufgabe machte, "unwertes Leben" zu eliminieren.

Das Schloß Hartheim ist nach wie vor bewohnt, in naher Zukunft soll daraus aber ein Museum werden.

Das Institut Hartheim ist im Jahr 1965 vom Oberösterreichischen Landeswohltätigkeitsverein unweit der ehemaligen Vernichtungsstätte errichtet worden. Zur Zeit wohnen dort 260 geistig- und mehrfachbehinderte Menschen, die von 350 mitarbeitenden Personen betreut werden. Das Angebot in Hartheim ist vielfältig: Es gibt einen Kindergarten, eine Schule, Therapieeinrichtungen und Werkstätten.

Der Name Hartheim ist untrennbar verbunden mit der Geschichte des Schlosses und bleibt so als mahnendes Beispiel in unserer Erinnerung bewahrt.

Seit einiger Zeit läßt dieser Name aber auch in anderer Hinsicht aufhorchen: mit Werken bildender Kunst - von den Bewohnerinnen und Bewohnern des Instituts im Künstleratelier selbst gestaltet. Talente gibt es unter behinderten Menschen genauso wie bei nichtbehinderten Menschen. Diese Talente zu entdecken und zu fördern, die Entfaltung kreativer Fähigkeiten zu ermöglichen, darauf legt Günther Weixlbaumer, Leiter des Instituts, großen Wert. Ein sensibler Umgang mit den Werken dieser Künstlerinnen undKünstler ist aus mehrerer Hinsicht gefragt: zum einen soll aus der künstlerischen Betätigung kein Geschäft gemacht werden, die Exponate werden daher - zum Leidwesen mancher Bewunderer - nicht verkauft. Vermeiden möchte man in Hartheim auch, daß die Kunstschaffenden selbst einem "Produktionszwang" unterworfen sind oder daß ihre Werke nur aus einer Geste des Mitleids heraus erstanden werden.

Zum anderen liegt der Schwerpunkt des künstlerischen Schaffens nicht im Endprodukt, sondern im schöpferischen Prozeß selbst. Weixlbaumer erklärt, daß für die behinderten Menschen "... Malen und Zeichnen, das Herstellen plastischer Werke, oft auch mangels anderer Möglichkeiten das Ausdrucksmittel schlechthin" ist. Kunst als Sprache und Ausdrucksmittel hat aber auch einen integrativen Effekt, so Weixlbaumer: "Mit der öffentlichen Präsentation und Anerkennung seines Werkes überwindet der Behinderte die Barriere zwischen sogenannten normalen und behinderten Menschen und fühlt sich als gleichwertiger Mitmensch akzeptiert."

Die künstlerisch tätigen Menschen werden von einem eigens dafür angestellten Personal professionell in ihrem Schaffensprozeß begleitet, insgesamt arbeiten an die 30 behinderte Menschen im hellen und geräumigen Atelier, das sich in unmittelbarer Nähe des Instituts befindet. Das Atelier gibt auf seine Art ein lebendiges Zeugnis des Schaffens, das hier an mehreren Tagen der Woche vor sich geht: Hunderte von Bildern lehnen fertig gerahmt an den Wänden, Plastiken aus Stahl und Objekte aus Pappmache finden sich in den Regalen. Im Jahr 1992 wurde das Atelier eröffnet, seither gab es über zehn Ausstellungen im In- und auch im Ausland.

Wenn die Werke der Künstlerinnen und Künstler auch nicht verkauft werden, so bieten sich dennoch verschiedene Möglichkeiten, diese Kunstwerke nicht im dunklen Kämmerlein vermodern zu lassen. Da fällt auf, daß das Institutsgebäude selbst schon einer Galerie gleicht - aufgrund der zahlreichen Kunstwerke, die im Stiegenhaus, den Büro- und Wohnräumen und dem Speisesaal zu sehen sind. In den Werkstätten werden unter Anwendung des Siebdruck-Verfahrens Vorhänge, Tischdecken, Bettbezüge und T-Shirts mit den ausgesuchten Motiven und Bildern bedruckt, schlußendlich ermöglicht der kürzlich veröffentlichte Bildband "Abdias" einen Einblick in das Schaffen der Künstlerinnen und Künstler.

Dem Leiter des Instituts ging es darum, die Arbeit der behinderten Menschen in bleibender Form zu dokumentieren und einer breiteren Öffentlichkeit zu zeigen, daß behinderte Menschen zu Leistungen fähig sind und von daher auch das Recht haben, Wertschätzung zu erfahren und nicht nur toleriert zu werden. Den relativ aufwendig gestalteten Bildband versteht Weixlbaumer daher auch als Zeichen der Würdigung der künstlerischen Arbeit dieser in Hartheim lebenden Menschen. Die ausgewählten Bilder berühren durch ihre künstlerische Ausdruckskraft und Ursprünglichkeit, die nichts mit Imitation oder kunsthandwerklichem Geschick zu tun haben: "Kreativität und Phantasie sind nicht eine Sache des IQ", bringt es der Leiter des Instituts Hartheim abschließend auf den Punkt.

Den Bildband "Abdias" gibt es bei: Mag. Petra Fosen-Schlichtinger, Institut Hartheim, Anton Strauch-Allee 1, 4072 Alkoven, Tel. 07274/6536, Preis: öS 980,-.

Bis 20. Jänner läuft eine Ausstellung in Bad Ischl, bei der unter dem Titel "Der Menschen Bilder" Werke gezeigt werden, die im Rahmen der Hartheimer Kulturinitiative "Kreativ-integrativ-Werktage" von Behinderten mit Künstlern erarbeitet wurden.

Galerie Rytmogram, Landesmusikschule Bad Ischl, Roith 30, 4820 Bad Ischl, Tel. 06132/24585.

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