Intensive Gefühlsschwankungen, Spannungszustände, Identitätskrisen und große Probleme im Kontakt zu anderen – das ist der schwierige Alltag von Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung. Eine Realität, welche die Schau „tales of a borderline“ der KulturFormenHartheim auf künstlerischem Weg vermitteln will.
Die schöne Fassade des renovierten Renaissanceschlosses Hartheim in Oberösterreich steht in krassem Gegensatz zu seiner traurigen Geschichte: Mordstätte in Hitlers Feldzug nach innen gegen psychisch Kranke und geistig Behinderte gewesen zu sein. Zwischen Mai 1940 und Dezember 1944 mussten geschätzte 30.000 „Andersartige“ im „Euthanasieschloss“ Hartheim ihr Leben lassen. Geschwiegen wird hier schon lange nicht mehr über das, was dem Ort über viele Jahre wie ein Stigma anhaftete. Mit seinen weitläufigen Räumlichkeiten beherbergt das Schloss nicht nur die Dauerausstellung „Wert des Lebens“, sondern versucht im Rahmen regelmäßiger Kunst- und Kulturprojekte all jenen Randgruppen eine Stimme zu verleihen, die sich selbst nicht zu Wort melden können.
Zerrissenheit und Instabilität
„Die 2003 ins Leben gerufene Plattform KulturFormenHartheim hat sich von Beginn an als Drehscheibe von Kunst im Kontext von Behinderung verstanden“, so Kristiane Petersmann, Koordinatorin der Kulturprojekte des Instituts. Während in den ersten Jahren die Präsentation der Werke von Menschen mit besonderen Bedürfnissen in und rund um Hartheim im Vordergrund gestanden sei, hätten die letzten Jahre eine thematische Ausweitung gebracht. Die aktuelle Schau „tales of a borderline“ ist das Ergebnis dieser Entwicklung. Siebzig Kunstwerke von vier Frauen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung thematisieren die häufig extremen Erlebenswelten ihrer Erschafferinnen. „Borderline-Betroffene stehen oft am Rand unserer Gesellschaft. Sie sind zu gesund, um dauerversorgt zu werden, aber zu krank, um dem Leistungsdruck eines normalen Arbeitsalltags standzuhalten.“ Viele von ihnen würden deshalb über Jahre hinweg zwischen Psychiatrie und dem „Leben draußen“ hin- und herpendeln – eine Gratwanderung, die schwer zu verstehen ist und häufig auf Unverständnis stößt. „Borderliner erleben sich selbst als Grenzgänger – zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt, zwischen Nähe und Distanz zu anderen Menschen und immer wieder auch zwischen Leben und Tod“, beschreibt die ehemalige Betroffene Christiane Tilly das komplexe Krankheitsbild.
Für Therapeuten ist bereits lange klar, dass der gestalterische Ausdruck „zum verborgenen Zugangsweg der von innerer Zerrissenheit und Instabilität geprägten Menschen“ werden kann, so die Kunsttherapeutin Flora von Spreti. Die bei siebzig Prozent der Betroffenen im Hintergrund stehende Traumatisierung mache es oft schwer, zu Beginn einer Behandlung „offen zu reden“. Die Ansbacher Künstlerin Anita Kaiser-Petzenka, deren Werke in Hartheim gezeigt werden, hat diesen Prozess selbst durchlebt: „Erst durch meine Bilder fand ich den Code, um aus der Verschlossenheit herauszukommen. Ich malte und zeichnete viel, weil ich keine Worte finden konnte.“ Kaiser-Petzenkas anfangs rein therapeutisches Malen hat sich im Laufe der Jahre verselbständigt; immer professioneller wird nicht nur das, was sie produziert, sondern auch ihre Haltung zum Kunstmarkt. Auch Karin Birner und Tamar Whyte haben erstmals im therapeutischen Setting begonnen sich kreativ auszudrücken und leben heute zum Teil von dem, was sie schaffen.
Dem kunstkritischen Beobachter mag sich ob dieser Tatsache die Frage nach dem Kunstgehalt der Werke stellen. Das Konzept der Ausstellungsmacherinnen gibt hier klare Antworten. Kristiane Petersmann, selbst Kunstschaffende, spricht von der bewussten Auswahl der „Künstlerinnen“ und ihrer „Kunstwerke“. Dem Hype, der sich im Moment um die sogenannte „Outsider Art“ entwickelt hat, kann sie wenig abgewinnen. Was heute vielerorts aus dem therapeutischen Atelier in die Galerie wandert, sei zu wenig gezielt ausgewählt. So werde der Kunstmarkt seit einigen Jahren von einer Fülle an Bildwerken von psychisch oder anders beeinträchtigten Personen geradezu überschwemmt. Unter dem Strich würden nicht zuletzt vor allem jene Künstler und Künstlerinnen darunter leiden, die wirklich qualitätsvolle Kunst produzieren, jedoch in der unüberschaubaren Masse untergehen. „Kunst und Therapie müssen sich nicht ausschließen. Nur ist nicht jede therapeutische Gestaltung gleich Kunst“, so Petersmann.
Stigmatisiert als „Psychiatrie-Künstler“
„Tales of a borderline“ ist ein ambitioniertes, selbst grenzgängerisches Projekt, in dem sich Kunstschau und Aufklärungsarbeit über eine Erkrankung ergänzen sollen. Eine derartige Verbindung mehrer „Hinsichten“ ist wenig gängig im aktuellen Ausstellungsbetrieb. Gerade der „Outsider Art“-Bereich legt oft besonderen Wert auf eine „saubere“ Trennung: So wird nicht selten die „reine“ Kunstschau verlangt und die Thematisierung biografischer Aspekte vermieden. Dass persönliche Krankheits- bzw. Gesundungsgeschichten am Kunstmarkt wenig Anklang finden, zeigt nicht zuletzt die bisherige Karriere der Nürnberger Künstlerin Karin Birner. „Galeristen haben mich schon oft abgewiesen, da mein Name bereits zu sehr mit dem Psychiatrie-Milieu assoziiert ist. Da nützt es gar nichts, dass ich mich inzwischen weiterentwickelt habe und sich auch meine Kunst verändert hat.“
Das Problem als „Psychiatrie-Künstlerin“ stigmatisiert zu sein, kennt die englische Künstlerin Tamar Whyte, deren großflächige abstrakte Leinwandbilder ebenso in Hartheim gezeigt werden, nicht. In Großbritannien sei das Interesse an dem Zusammenhang zwischen ihren Werken und ihrer Erkrankung sehr groß, sagt sie. 2006 wurden einige ihrer Bilder von der Organisation „Personality Plus“, einem vom britischen National Health Service ins Leben gerufenen Verein zur Unterstützung von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen, in der renommierten Londoner Tate Gallery gezeigt. Mit ihrer Karriere ist es seither steil bergauf gegangen, Whytes Aussagen zum kathartischen Effekt ihrer Kunst werden breit rezipiert. Erst vor wenigen Monaten hat man ihr eine Anstellung bei „Personality Plus“ in ihrer Heimatstadt Birmingham angeboten, um als Expertin an neuen Projekten mitzuarbeiten. In Hartheim hofft man auf ähnlich offen geführte Diskurse hierzulande. „In unserer Schau möchten wir beide Sichtweisen zulassen: die Malereien sollen sowohl als Kunstwerke verzaubern dürfen als auch als lebendiger Ausdruck eines Borderline-Erlebens gelesen werden können“, meint Petersmann.
Die stilistische Bandbreite des Gezeigten ist groß: Während Karin Birners Bilder Anklänge an die Malerei der Expressionisten aufweisen, ist Tamar Whytes Schaffen durch Einflüsse der Young British Artists geprägt. Anita Kaiser-Petzenkas kleinteilige Werke wiederum erinnern an Friedensreich Hundertwasser. Allen gemein scheint ihre starke Farbigkeit und enorme Dynamik zu sein – „tales of a borderline“ rüttelt auf und regt an zum Nachdenken über existenzielle Gefühlszustände und die Verletzlichkeit des Individuums. Die durch die Schau beabsichtigte „Einfühlung“ von Außenstehenden in Borderline-Erlebenswelten ist ob solcher Bilder keine Frage des Wollens mehr.
Tales of a borderline
bis 31. Jänner 2010, Mo, Di, Do 9–14 Uhr (oder nach persönlicher Vereinbarung)
Schloss Hartheim, A.-Strauch-Allee 1, 4072 Alkoven
Nächste geführte Ausstellungsrundgänge: Fr, 20. 11., 12–18 Uhr (Voranmeldung: 0699-12576685, k.petersmann@institut-hartheim.at)
www.institut-hartheim.at