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Die Fronde löst sich auf

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Die ersten, die dann schließlich nachgaben, waren die Anhänger des Präsidenten der DC, Piccioni, denn sie waren an ihren Favoriten nur durch die Bande persönlicher Sympathien gebunden; als nächste folgten dann die Fanfanianer, denn auch Anhänger einer politischen Sekte können schwach werden. Bis zum Schluß fest blieben nur die Anhänger Gronchis: hier spielen aber persönliche Interessen mit, gegen die keine Einsicht und Überzeugung aufkommen kann. Im neunten Wahlgang, der Segnis Sieg brachte, konnte die Einheit der DC nach außen hin zumindest als wiederhergestellt betrachtet werden, auch wenn auf dem Parteiantlitz einige unschöne Narben zurückbleiben. Nun, Segni ist nicht der Mann, der Vergeltung üben wollte. Im Gegenteil: man kann sicher sein, daß die kommenden sieben Jahre keine Polemiken gegen denft^rrihal bringe¥ werderiv wis-fl8iU!

Als der“ Universttätsprofessor Antonio Segni im Juli 1955' zum erstenmal Regierungschef wurde und der greise Priester-Politiker Don Luigi Sturzo ihm eine Regierungszeit zwischen 16 und 26 Monaten prophezeite, höhnte der Vizepräsident des Senats, der Unabhängige Enrico MolS: „Warum nicht gar!“ Sogar einige Christlichdemokraten konnten bei der seltsamen Prophezeihung Don Sturzos ein Lächeln nicht unterdrücken. Eine „Bade-Regierung“ nannte man das erste Kabinett Segni, weil man in ihm eine Notlösung für die Zeit der sommerlichen politischen Ruhe sah. Die Regierung dauerte dann zweiundzwanzig Monate. Noch weitere 44 Tage, und sie wäre die längste aller Regierungen geworden, die Italien in der Nachkriegszeit überhaupt gehabt hat, das siebente Kabinett De Gasperi übertreffend. Die Erinnerungen an das

lange Kabinett Segni sind jedoch verwischt. Offensichtlich ist in dies« Zeit nichts Einschneidendes passiert. Sie floß glatt und eben dahin, ohne Polemiken, nicht einmal seitens dei Linken, denen die Reden Segnis, ohne Höhen und Tiefen, keine Handhab« boten. Es war die ruhigste Zeit, di« Italien erlebt hat. Die Regierung Segni stürzte aus keinem eigentlicher politischen Grunde, sondern aut Langeweile. Weil den Politikern di« Nerven versagten, weil sie die Ruh« nicht mehr länger ertragen konnten Die zweite Regierung Segni dauert« von Februar 1959 bis zum Februai 1960. Der liberale Parteiführer Giovanni Malagodi, beunruhigt über di« Sympathien, die Segni für die demokratische Linke zu haben schien, beeal

:ich zum Ministerpräsidenten und kün-ligte ihm den Entzug der Unterstützung der Liberalen an, falls er :ich nicht den Bedingungen der Libellen füge. Malagodi dachte, Segni verde bei dieser Drohung, seine Regie-ung zu Fall bringen, zusammenknik-<en. Statt dessen sagte Segni ruhig ,Va bene“, nahm seinen weichen, ichwarzen Filzhut, legte den weißen Seidenschal um, zog den langen ichwarzen Mantel an und begab sich :um Staatspräsidenten, um zu demissionieren. Ohne Aufregungen, ohne Polemiken, ohne die Dinge zu dramatisieren.

Tatsächlich wird es niemand geben, ler behaupten könnte, Segni jemals aufgeregt gesehen zu haben. Ein einiges Mal vielleicht, an jenem Tag im lahre 1950, als ein Abgeordneter ihm im Parlament vorwarf, die Landreform sei ein Verrat an den Bauern. Damals wurde Segni weiß im Gesicht, faßte Jas Trinkglas und setzte es so heftig auf, daß es zersplitterte. „Das nehmen Sie sofort zurück I“ rief er. Aber dann, >eschämt darüber, sich erregt zu haben, fing er in die Arztstube und ließ sich verbinden. Er kam so heiter und ruhig heraus, als wäre nichts geschehen. Die Temperamentlosigkeit Segnis entspringt keiner Trägheit, wie man sie etwa Piccioni nachsagt, sondern einer dauernden Selbstkontrolle, die nicht gestattet, daß die innere Spannung jemals an die Oberfläche gelange. Die Malice behauptet, daß das merkwürdige, im Grunde unitalienische Temperament Segnis das Ergebnis jahrhundertelangen Umgangs seiner Vorfahren mit den Banditen Sardiniens und unter ewigwährenden Fehden sar-discher Feudalherren ist. Nur wer die Vorsicht und Achtsamkeit keine Sekunde lang verliert, wer niemals ein Wort zuviel und unbedacht äußert, wer die Schlauheit von Kindesbeinen auf lernt wie die Buchstaben und das Schwimmen, konnte sich in Sardinien mitsamt seiner Sippe vor der Ausrottung bewahren. Segnis Vorfahren, aus Genueser Patriziergeschlecht, das wegen innerer Wirren und des sarazeni-

schen Druckes in Sardinien eine neue Heimat suchte, haben sich durch alle Fehden hindurchzuschlagen verstanden und ihrem Abkömmling Antonio Segni, heute Präsident der italienischen Republik, äußerste Vorsicht im Umgang mit Menschen und eine reiche Dosis „furbizia“ als Erbmasse hinterlassen. Das Wort mit „Schlauheit“ zu übersetzen, wie im Wörterbuch steht, bedeutet jedoch Segni unrecht tun. Die italienische furbiza ist eine durchaus lobenswerte Eigenschaft und wird in der päpstlichen Diplomatie gelernt und geübt. Jedenfalls ist Segni dank der ererbten wachen Intelligenz noch nie von einem seiner Parteifreunde in die Falle gelockt worden, keine noch so fein gesponnene Intrige hat ihn unvorbereitet gefunden. Dort, wo es auf seine eigene Person und sein eigenes Zutun ankam, hat er noch niemals ein Fiasko erlebt.

„Und wenn man bedenkt, daß man mich zum Verzicht bewegen wollte!“ hat Segni gemurmelt als man ihm die Nachricht von seiner Wahl zum Staatsoberhaupt überbrachte. Gegenüber allen Intrigen und Fallstricken der christlichdemokratischen Fronde und dem Mangel an Zuversicht der eigenen Freunde hat die geschmeidige Härte seines Charakters widerstanden und schließlich recht behalten. So ist es gekommen, daß der sardinische Landedelmann Antonio Segni seiner Partei zum zweiten Mal die Präsidentschaft gesichert hat. Der maßgebliche „Corriere della Sera“ feiert ihn heute als das Symbol aller staatserhaltenden Kräfte; am 30. April 1950, als der damalige Landwirtschaftsminister Antonio Segni die Landreform, die seinen Namen trägt, allen Hindernissen zum Trotz durchbrachte, hat ihn der gleiche „Corriere della Sera“ als heimlichen Kommunisten erklärt. Es ist merkwürdig, daß die christlichdemokratische Partei, die sich 1950 im Namen Segnis teilte, am 6. Mai 1962 im Namen Segni ihre Einheit wiederfand.

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