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ANTONIO SEGNI / ZWISCHEN LEBEN UND TOD

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Die schwere Erkrankung des 73jährigen italienischen Staatschefs Antonio S e gni hat in der gesamten italienischen Öffentlichkeit Bestürzung ausgelöst. Mehr als zwei Jahre hatte der zartgebaute Mann der Überbürdung mit Dienstpflichten getrotzt. Jahrzehntelang war der der Wissenschaft und Politik Verhaftete den maßlosen Anforderungen seines Amtes voll gewachsen gewesen. Nie hatte ihn ein ernstliches Unwohlsein befallen. Zweifellos ist der italienische Staats präsident ein Opfer beruflicher Überforderung geworden. Neben den in diesem Jahr besonders ausgeprägten repräsentativen Obliegenheiten, worunter zahlreiche Auslandsreisen, Gedenkfeiern, in den letzten Gluttagen Truppenmanöver sonder Zahl einen großen Raum einnahmen, drückte ihn während seiner ganzen Amtszeit die wandelbare innenpolitische Lage, die höchste Anforderungen an seine geistige Beweglichkeit und Entschlußkraft stellte.

Segni nahm sein Amt ernst. Selbst ein hervorragender Jurist, legte er die Bestimmungen der Verfassung über Umfang und Tragweite der Aufgaben des Präsidenten der Republik streng aus. Zuletzt noch bewies er seine Selbstdisziplin bei den sich scheinbar ins Unendliche hinschleppenden Beratungen um die Bildung des zweiten Kabinetts Moro, die er mit der Autorität seiner Stellung und Persönlichkeit in gutem Sinne beeinflußte und förderte.

Das Leben des Gelehrten, Gutsbesitzers und Politikers Segni, dessen Laufbahn nun eine jähe Unterbrechung erfahren hat, war eine Kette von aufsteigenden Erfolgen. Von Haus aus ein dem guten Bürgertum angehörender Mann, einfach, fast unscheinbar im Auftreten, von tiefer menschlicher Wärme durchdrungen, redlich das Gute und Hohe anstrebend, verriet sein schlichtes, Ehrung und Ruhm meidendes

Wesen weder einen Karrieremacher noch einen nach Auszeichnung Strebenden. Vorwiegend blieb bei ihm der Drang nach selbstloser Leistung, der Wille, es anderen und sich gutzumachen, mit anderen Worten, auf erreichbaren Höhen zu schreiten.

Als Beispiel gilt sein politischer Weg: Seine tiefe Gläubigkeit führte ihn zur katholischen Partei Don Sturzos. Sein eigentlicher Aufstieg begann jedoch nach der Liquidierung des faschistischen Regimes. Unter dem großen Lehrmeister Alcide de Gasperi wurde er in verschiedenen Ministerien Unterstaatssekretär. Schon 1942, also noch während der faschistischen Diktatur, hatte er sich an der Neugründung der Democrazia Cristiana beteiligt und war deren Parteichef für sein engeres Heimatland Sardinien geworden. Unter den verschiedenen Ministerien de Gasperis begann die Reihe seiner Ministerämter, deren erstes das Landwirtschaftministerium war. Daß er diese Tätigkeit trotz der sich oft ablösenden Regierungen mehr als fünf Jahre (1946—1951) ausübte, war seiner besonderen Sachkenntnis aller landwirtschaftlichen Probleme zu verdanken, die auf seinen angestammten Beruf des Gutsherrn zurückweisen.

Nach 1951 bekleidete er eine Reihe anderer Ministerposten, so die der Justiz, des Unterrichtswesens, der Innenpolitik, der

Landesverteidigung und der Außenpolitik. Als langjähriger Ministerpräsident eiferte er seinem inzwischen verstorbenen Freund und Vorbild Alcide de Gasperi nach. Oft bekannte er, daß er an der Seite des „Großen“ „einen Hauch von staatsmännischem Denken und Handeln“ verspürt habe und daß er ihm auch im übernationalen Bereich getreulich gefolgt sei. In der Tat: Der „Europäer Segni“ verdient eine besondere Würdigung. Er verwaltete gleichsam das Erbe de Gasperis, der in seinem Land die schwer zu verwirklichen Voraussetzungen für den Zusammenschluß der europäischen Staaten geschaffen hatte.

Das unerbittliche Schicksal hat einen hervorragenden Staatschef i und Menschen mitten aus fruchtbarem Wirken herausge- rissen. Die Trauer hat in Italien alle Menschen, über die Parteischranken hinweg, erfaßt. Hunderte und Tausende haben in den vergangenen Tagen des Harrens und Bangens die Eingänge des Quirinalpalastes umstanden, um die neuesten Meldungen über den Krankheitsverlauf zu erfahren. Wohl selten hat die italienische Tagespresse von weit rechts bis links einem führenden Politiker so viel Hochachtung und Anerkennung gezollt wie jetzt dem Präsidenten Antonio Segni, der Jahrzehnte seiner Kraft Volk und Vaterland zur Verfügung gestellt hat. r. w.

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