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Papa kam nicht nach Hause

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Man kann sich vorstellen, welchen Schrecken die erfolgte Wahl des Außenministers Antonio Segni im Palast Segni in Sassari verbreitet haben wird. Als im Juli 1955 die Nachricht vom Rücktritt der ersten Regierung Segni durch den Äther schwang, stürzte der Sohn Giuseppe in das Zimmer der Signora Laura und rief fröhlich: „Mama, Mama, unser Papa ist zurückgetreten, er ist gestürzt, er kommt jetzt nach Hause! Jetzt sind wir endlich die Polizisten vor der Haustür los!“ Und Signora Laura, die fortan von den Italienern Donna Laura genannt werden wird, seufzte erleichtert: „Mit der Polizei dauernd vor dem Tor kam ich mir wie ein Übeltäter vor.“ Donna Laura wird in der Stunde des Triumphes an die Gardekürassiere im Quirinalpalast gedacht haben, sie wird sie bei jedem Schritt vor sich sehen, stramm salutierend, auf jedem Treppenabsatz, im Garten, in den langen Korridoren. Sie wird an die ungewohnten Pflichten denken, die auf ihr lasten werden, die Aufsicht über Tonnen anvertrauten Tafelsilbers, über Hekatomben Meißner-Porzellan-Teller, über Quadratkilometer flämischer Tischwäsche. Donna Carla Gronchi, ihre Vorgängerin im Quirinal, sind einmal die Tränen in die Augen gestürzt, als sie den Schaden sah, den die nadelspitzen Absätze der Damen nach einem großen Empfang auf dem kostbaren intarsierten Parkett zurückgelassen hatten. Dann alle die anderen großen gesellschaftlichen Verpflichtungen! Die Präsident-

schaft des Roten Kreuzes! Das alles für Donna Laura, deren Leben bisher in der sardinischen Provinzhauptstadt Sassari einzig und allein ihrer Familie

gewidmet gewesen war, die niemals in der Öffentlichkeit erschienen war.

Bei Segni selbst war die Reaktion auf die glücklich erfolgte Wahl natürlich eine andere. Sonst hätte er

nicht so störrisch an seiner Kandidatur festgehalten, selbst als ihn die Freunde entmutigt zum Verzicht bewegen wollten. Natürlich hat Segni in der Präsidentschaft die Erfüllung aller seiner Ambitionen erblickt wie jeder andere, dessen Namen im Zusammenhang mit den Wahlen aufgetaucht ist, Gronchi und Fanfani inbegriffen. Nur der sensible Saragat, der Sozialist demokratischer Prägung, hat nach der Demütigung seines siebenmaligen Kräftemessens und einem vermittelnden Gespräch mit dem Christlichdemokraten Mario Scelba Verzicht leisten wollen, unter der Bedingung allerdings, daß Segni das gleiche tue und die Parteien der Koalition sich über eine neue Kandidatur einig würden. Als der Parteisekretär der Democrazia Christiana, Aldo Moro, mit ein wenig bangem Herzen Segni diesen Vorschlag überbrachte, antwortete dieser, daß ihn die beiden christlichdemokratischen Parlamentsfraktionen zu ihrem Kandidaten gewählt hatten, und daß er sich dem Wunsch der Fraktion beugen werde.

Segnis Gegner behaupten, daß die angebliche Bescheidenheit des Mannes pure Finte sei, auch seine angebliche körperliche Gebrechlichkeit. Sie vergleichen ihn mit Papst Sixtus V., der gewählt worden war, weil man ihn für alt und schwach hielt, dann aber sofort den Stock wegwarf, auf den er sich zu stützen vorgab, und mit einer Energie zu regieren begann, die allen den Schreck in die Knochen fahren ließ. Die Bescheidenheit Segnis, seine Unterwerfung unter den Willen dei Fraktionen, stellte Moro vor eine unmögliche Aufgabe. Wie konnte er es wagen, den Fraktionen mit einem derartigen Vorschlag unter die Augen 21 treten? Sie hätten ihn zerrissen. Die Stimmung war nach dem siebenten erfolglosen Wahlgang derart, daß di« Mehrheit der Parlamentarier der DC lieber den Sozialdemokraten Saragat und vielleicht sogar dem Konpiunisteii Terracini die Stimme gegeben hätten als sich dem Willen jenes kleinen Häufleins Fanfanianer, Gronchianer und Piccionianer zu fügen, die bis dahin Segnis Wahl verhindert hatten. Ein Pamphlet

Die Leidenschaftlichkeit, mit der di« Kandidatur Segnis auf der einen Seit« der christlichdemokratischen Parte; unterstützt, auf der anderen heftigst bekämpft worden ist, verwundert jetzt noch, nachdem sich der Sturm gelegt hat, Segni und Fanfani die gewohnter Küsse ausgetauscht haben und derr neuen Präsidenten von allen Seiter Glückwünsche zu Füßen gelegt werden Während der Wahlen im Montecitorio-Palast kursierte dort ein Druckwerk das sich als eine Nummer der „Settimana Parlamentare“ ausgab, einet

politischen Wochenschrift, die man bis dahin nicht zu sehen bekommen hatte. Es handelte sich um ein Pamphlet, voll von heimtückischen Angriffen gegen Segni und Lobhudeleien für Gronchi. Auf der ersten Seite gab es ein Bild Se'gnis, das allgemein Bedauern für diesen Mann hervorrufen konnte, einer jener Scherze, zu denen das photographische Objektiv manchmal fähig ist und die so gern von Übelwollenden mißbraucht werden. Auf einer anderen Seite prangte in einsamer Größe ein Inserat der AGIP, der staatlichen Erdölgesellschaft in den Händen des „italienischen Mossadeq“, Enrico Mattei, so daß auch dem naivsten ausländischen Korrespondenten sofort klar wurde, woher der Wind wehte. Nun ist es zwar richtig, daß der Staatspräsident in Italien mehr Befugnisse hat als Ausstellungen zu eröffnen, Grundsteine zu legen und Gnadenakte zu gewähren. In Zeiten politischer Krisen kann er auch bestimmend in den Gang der Ereignisse eingreifen. Trotzdem zieht die Verfassung seinem Tun enge Grenzen, und der Einsatz der Parlamentsmitglieder, die Wahl Segnis zu fördern oder zu verhindern, muß unproportioniert erscheinen.

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