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De Gasperi: Ein Mann allein

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Eine zeitgemäße Erinnerung und Mahnung für christliche Demokraten

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Eine zeitgemäße Erinnerung und Mahnung für christliche Demokraten

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Im kommenden Frühjahr werden zwanzig Jahre zwischen unserem Heute und dem Ende des zweiten Weltkrieges liegen. In diesen zwanzig Jahren sind Menschen, Parteien verschlissen worden; vernutzt, verbraucht, nicht selten auch verschmutzt. Wie steht es heute und morgen mit der Demokratie in Europa, im nichtkommunistischen Europa? Das westliche Europa ist aus einer Trümmerlandschaft, die in einem politischen Chaos zu versinken drohte, durch drei Kräfte des Wiederaufbaues gerettet worden: durch den Marshall-Plan und die amerikanische Wirtschaftshilfe, durch demokratische Sozialisten und Liberale und — last not least — durch die Männer einer christlichen Demokratie. Diese letzteren, die Vielverkannten und Vielverdächtigten, waren Bauherren eines neuen Europa: Robert Schumann, Adenauer, Alcide De Gasperi.

Die Tragödie der christlichen Demokratie in Europa, zwischen 1830 und heute, ist noch nicht in ihrer ganzen Wahrheit dargestellt worden, obwohl eine Fülle von Einzelstudien, Frankreich, Belgien, Deutschland, Österreich, Italien betreffend, vorliegen. Diese Tragödie faltet sich immer wieder auf Höhepunkten der Krise zu Tragödien der betroffenen Nationen, ja Europas aus: Nicht zuletzt deshalb, da jeweils im kritischesten Moment den führenden Männern einer christlichen Demokratie kirchlicherseits das Vertrauen entzogen oder zuvor bereits gar nicht geschenkt worden war. Das Verhältnis der römisch-katholischen Kirche zur Demokratie ist jung. In kritischen Momenten haben in den mehr als hundert Jahren zwischen Papst Gregor XVI. und Pius XII. immer wieder autoritäre und totalitäre Personen und Gruppen den Sieg über die christlichen Demokraten, besser die Übermachtung, erreicht, da man der Kurie in Rom die verlockende Perspektive vorstellte: Besser sei es, in unsicheren Zeiten auf einen starken Mann, einen General, einen neuen Bonaparte, einen Napoleon III., einen Duce, einen mit außerordentlichen Vollmachten ausgestatteten Staatsführer zu setzen, als auf die „unsichere“ christliche und nichtchristliche Demokratie.

Eine Tochter legt Zeugnis ab

Diese Versuchung ist heute noch nicht gebannt: Landauf, landab klopfen weit über Europa hinaus berufsmäßige und auf eigene Kosten arbeitende Vertreter autoritärer, antidemokratischer Gruppen und Kreise bei kirchlichen Portalen an und hoffen, daß ihnen aufgetan wird. Der Name ihrer Kandidaten für die Machtübernahme im Staate ist in Südamerika, Nordamerika, Afrika, Indochina, Europa naturgemäß verschieden. In dieser kritischen Stunde der Demokratie stellt uns, zehn Jahre nach seinem Tode, die Tochter und Mitarbeiterin ihres Vaters, Maria Romana Catti-De Gasperi, das Leben des Alcide De Gasperi vor: De Gasperi, uomo solo (Mondadori, Mailand 1964).

Student in Wien, 1900. Ein Photo von 1901 zeigt den Jusstudenten De Gasperi inmitten seiner Bundestrü-

der in der italienischen katholischen Studentenverbindung in Wien. Im Hintergrund die Wappen Triests und Tirols, zu dem ja Trient gehörte. Faschisten, Kommunisten, Liberale werden nach dem Ende des ersten Weltkrieges, und wieder KomJ munisten, Neofaschisten, Monarchisten, Liberale und Rechtskonservative werden nach 1945 De Gasperi als „Austriacante“, als Österreich- Kollaborateur, denunzieren. Der Trentiner De Gasperi, der sich zeit seines Lebens in seinen Bergen und bei den einfachen Bergbauern seiner Heimat, um Pieve Tesino, am wohl-

sten, am freiesten gefühlt hat, weiß sich als Italiener. Mit anderen italienischen Studenten sitzt er in Innsbruck im November 1904 in einer Art Schutzhaft, anläßlich von Unruhen an der Innsbrucker Universität. De Gasperi kämpft für sein italienisches Bergvolk im Reichsrat in Wien (1905—1913), und auf dem Landtag in Innsbruck. Er verliest im Juni 1911, nach der Neuwahl als Sekretär der italienischen Gruppe, den Treueid: Sie versprechen, eidlich, treu und gehorsam Seiner Majestät dem Kaiser zu sein, die Staatsgrundgesetze und alle anderen Gesetze des Staates treu zu beobachten und ihre Pflichten sorgfältig zu erfüllen.

Die Tochter, Maria Romana, hält fest: Zusammen mit den anderen erwiderte auch Cesare Battisti, mit der roten Krawatte und einer Nelke im Knopfloch, im Namen der sozialistischen Genossen: „Ich gelobe es.“

Bei Kriegsausbruch geht De Gasperi nach Wien, um hier für die zahlreichen aus den Kriegsgebieten ausgesiedelten und in Lagern in Niederösterreich und Böhmen eingewiesenen Italiener zu wirken. Im ersten Verhör in faschistischer Haft (1926) wird ihm, wie oft zuvor und oft nachher, dies vorgeworfen: Warum blieb De Gasperi im Krieg in Österreich? Gleichzeitig hält man ihm vor, daß sein Bruder August in der Armee des Kaisers diente und an der russischen Front sich die Goldene Tapferkeitsmedaille erwarb …

De Gasperi war kein „Austriacante“ im Sinne der nationalistischen italienischen Denunziation. De Gasperi fühlt und weiß sich durch und durch als Italiener. Er wuchs jedoch in einer Zeit heran, in dem das alte Österreich mit dem alten Italien trotz vieler Gegensätze in einer Allianz verbunden war, und er kämpft, als Christ und Demokrat, für ein Europa, in dem die Völker miteinander leben, nicht gegeneinander sterben sollen. Die erste publizistische Auseinandersetzung De Gaspe- ris mit Mussolini erscheint am 3. Juni 1909 im „Trentino“ und trägt den Titel: „I violenti“, die Gewalttätigen!

Winter um Wien. In den Wäldern um Heiligenkreuz gehen zwei Männer spazieren. Sie sprechen von der Zukunft Europas, Italiens, der Donaumonarchie.

Der eine ist Alcide De Gasperi, der geistliche Herr ist der seit Mai 1916 in Heiligenkreuz internierte Bischof von Trient, Celestino Endrici, der seinem Freund De Gasperi bis zu seinem Tod die Treue hielt: in all den schweren Jahren des Faschismus … De Gasperi selbst ist ein Fanatiker der persönlichen Treuebindung: Freundschaft ist ihm heilig wie der Glaube. Auch das hat ihm später manche Bitternis eingebracht.

Kampf gegen die Gewalt

Kampf gegen die Gewalttätigkeit: Unerschütterlich, mit einer unermüdlichen Geduld, kämpft De Gasperi zeitlebens für eine Politik der Vernunft, der Rücksichtnahme auf den Andersdenkenden, für eine Politik der Evolution, gegen die Revolution und gegen die Gegenrevolution.

„Tollerante ė e deve essere chi crede“: Tolerant ist und muß sein, wer aus der Substanz des christlichen Glaubens heraus lebt. Alcide De Gasperi ist sich zeit seines Lebens treu geblieben: Der junge katholische Student kämpft für eine moderne katholische Presse, er fragt als ein christlich-sozialer junger politischer Katholik seine Glaubensgenossen: „Warum haben wir bis jetzt geschlafen … ?“ — In seinen großen Reden in seinen letzten Lebensjahren bekennt er sich zu denselben Motiven, die er als junger Journalist, dann als Direktor von „II Trentino“, der 1906 „La Voce Catto- lica“ ablöst, um eine freiere politische und soziale Aktivität zu ermöglichen, publizistisch vertreten und als Mensch, als Mann, gelebt hat: „Piu amore, piu fratemita, piu pace.“ Mehr Liebe, mehr Brüderlichkeit, mehr Friede.

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