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Der Schritt auf die politische Bühne

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Am 4. März 1921 bekennt er sich in „II nuovo Trentino“, in seinem Blatt, gegen Faschismus, Nationalismus, Rassismus, für eine christliche Brüderlichkeit und Universalität. Als Ministerpräsident, als Führer seiner Partei, der Democristiani, kämpft er für die Verwirklichung dieser seiner Grundsätze. „Democra- zia Cristiana“: christliche Demokratie. De Gasperi besteht auf diesem Namen seiner Partei: Tödlich ernst ist es ihm mit diesem Bekenntnis. Er weiß, er kennt genau die Tragödie der christlichen Demokratie im 19. Jahrhundert in Frankreich, in Deutschland: Er beruft sich auf Lacordaire, auf Windthorst, auf Gratry, auf Montalembert. Er weiß, wie diese Männer aus den eigenen Reihen heraus befehdet und niedergekämpft wurden — und betritt in diesem Bewußtsein die politische Bühne zuerst Italiens, dann Europas.

Ein Brief wird nicht übergeben

1921 wird Alcide De Gasperi Abgeordneter der Italienischen Volkspartei, des Partito Popolare Italiano, der Christlich-Sozialen Partei, unter Führung Don Sturzos. Am 21. Dezember 1922 verspricht Mussolini De Gasperi und der Volkspartei die Erhaltung der Demokratie. Der König in Rom und der Vatikan haben sich für Mussolini entschieden. Die Kurie opfert in den nächsten Jahren die christlich-sozialen Popolari an Mussolini, so wie sie 1933 das Zentrum und die Demokratie in Deutschland an Hitler opfern wird. Im dokumentarischen Bericht der Maria Romana De Gasperi wird das italienische Parallelphänomen zu den späteren Vorgängen in Deutschland und in Österreich offen aufgezeigt: Kirche und Prälaten verlassen die Besiegten, die durch den faschistischen Terror überwältigten christlichen Demokraten. In seinem Gefängnis in Rom sinnt De Gasperi dem seit zweihundert Jahren in Europa wirkenden Samen des Fortschritts nach. Der Pater Tacchi Venturi, der berühmte Mittelsmann zwischen der Kurie und Mussolini, weigert sich, einen Brief De Gasperis aus dem Gefängnis an Mussolini an den Adressaten zu übergeben, da der „Dank“ und die schuldige Huldigung für den Duce in diesem Brief fehlen …

1929: Mussolini schließt die Lateranverträge ab und verspricht, wie wenig später Hitler, in einem Konkordat der Kurie Dinge, die keine demokratische Regierung hätte parlamentarisch durchbringen können: Infantile, ganz unberechtigte Hoffnungen nicht weniger italienischer Katholiken nach diesem Konkordats abschluß: Mussolini wird als neuer Konstantin gefeiert. De Gasperi sagt: Die Massen werden eines Tages wieder erscheinen auf der Bühne der Geschichte. „Wünschen wir uns, daß die Männer der Kirche sie nicht aus dem Gesichtsfeld verlieren, denn sie, die Massen der Völker, sind die Wirklichkeit von heute und morgen.“

Lobeshymnen auf den Faschismus, katholischerseits, vergiften die katholische Jugend… De Gasperi denkt in diesen langen Jahren der Ausgeschlossenheit von jeder politischen und öffentlichen Arbeit an die Aufgaben für die Katholiken, die ihrer in der Zukunft, nach dem Sturz der Diktatur, warten: Klerus und Laien sollten beizeiten lernen, aufrecht auf den Beinen zu stehen, und nicht zu knien — vor Mussolini, vor den Herren dieser Welt…

Das „dritte Leben“

Am 5. Juni 1944 beginnt für De Gasperi sein „drittes Leben“: Es führt ihn an die Spitze der italienischen Regierung. In schweren inne-

ren Kämpfen, vor allem gegen seinen großen Gegner Togliatti (der ihn seit dem Mai 1947 nicht mehr grüßt; sie standen auf dem Duzfuße), mit dem zeitweise in Italien vor allem durch seine Bewaffnung übermächtig erscheinenden Kommunismus, gelingt es De Gasperi, diese Gefahr von „Links“ zu bannen. In zähen, schwierigen, für ihn zunächst tief demütigenden ersten Verhandlungen mit den Alliierten in Paris, dann in London, in Amerika, gelingt es De Gasperi, den Wiederaufbau Italiens, zu begründen: Italien als ein freies, demokratisches Land, in Europa, in „la nostra patria Europa“, in unserem Vaterland Europa.

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