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Italiens Kunsdiak ist tot

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Samstag, den 8. August, starb in einem Kloster am Stadtrand von Rom Don Luigi Sturzo, der Gründer der „Popolari” (Katholische Volkspartei, Vorgängerin der „Democrazia Cristiana”), im 88. Lebensjahr.

Wie ein Meteor war in den Jahren unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg der Stern Don Luigi Sturzes auf geleuchtet; dieses unscheinbaren Geistlichen aus Caltagirone in Sizilien. In ihm glühte die Flamme politischer Schöpferkraft. Fast 30 Jahre waren seit jener Enzyklika Leos XIII. „Rerum novarum” (1891) verflossen, die sich mit der aufdämmernden, ins Radikale abirrenden Arbeiterfrage befaßte und die den Weg zur Milderung und schließlich zur praktischen Aufhebung des „Non expedit” ebnete. Diese vom Vatikan nach der widerrechtlichen Annektion des Kirchenstaats (1870) durch das politisch geeinigte Italien nachdrücklich er gangene Empfehlung an die katholischen Wähler, am politischen Leben des neuen Staatswesens nicht1 teilžtfnehmėn, vor allem sich der Stimmabgabe bei den Wahlen zu enthalten, erwies sich als schwere Belastung der politischen Willensbildung des Volkes. Nachdem aber der Krieg 1915—1918 den Italienern das Bewußtsein vermittelt hatte, Staatsbürger zu sein und nicht mehr abseits zu stehen, nachdem vor allem der Marxismus aktiv und destruktiv in ihre Reihen eingebrochen war, schien die Gründung einer umfassenden, auf dem katholischen Glauben beruhenden Partei das Gebot der Stunde zu sein. Nur eine starke Mittelpartei würde, so glaubte man, einen Dammbruch der ungefestigten Demokratie verhindern. Don Sturzo übernahm diese Aufgabe mit Einsatz aller seiner Kräfte: Am 18. Jänner 1919 trat die katholische Partei, der Partito Popolare, ins Leben, die bald 107 Abgeordnete in die Kammer schicken konnte. Nicht viel mehr als drei Jahre der Bewährung waren ihr vergönnt. Denn am Ende des liberalen, um seine Selbstbehauptung ringenden Staates, welcher sechzig Jahre das Land in Form gehalten hatte und dann der von Moskau organisierten Flut nicht mehr standhalten konnte, entwickelte sich mit revolutionärem Elan die Gegenbewegung, der Faschismus, der schließlich im Oktober 1922 zum unbestrittenen Sieg kam.

Noch blieben die „Popolari” in der Regierung, und der von Haus autoritäre und gewiß herrschsüchtige sizilianische Priester versuchte gar, zu Mussolini eine Brücke zu schlagen. Aber der Versuch scheiterte. Den Grund des Scheiterns gab der neue Diktator offen zu: Er fürchtete den unerbittlichen Mann aus Caltagirone und drückte diese Furcht auf seine Weise aus: „Ich will keine Marionette in den Händen der Popolari werden. Was Don Sturzo betrifft, so sehe ich in ihm den für das Funktionieren einer jeden Regierung schädlichen Mann. Schluß mit dieser Grauen Eminenz! Ueberdies tun die Priester gut daran, in die Kirche zu gehen, statt ihre Soutanen durch die Vorzimmer der Ministerien zu schleifen!”

So mußte schließlich die große Mittelpartei der Brachialgewalt weichen. Und es dauerte nicht lange, bis Don Sturzo durch eindeutigen Wink von übergeordneter Stelle gezwungen wurde, auf die Parteiführung zu verzichten. Er tat es mit großer Würde und trat am 11. Juli 1923 aus allen Aemtern der Partei aus. Nicht viel später ging er nach den Vereinigten Staaten in die freiwillige Verbannung.

Drüben ruhte er nicht. Er käfripfte weiter gegen die faschistische Diktatur und für die Grundsätze der Demokratie; er redete und schrieb, gewann ungezählte einflußreiche Freunde, die ihm bedeutsame ideelle Hilfe leisteten. Die Verbindung mit den führenden Männern des einstigen Partito Popolare erhielt er aufrecht; unablässig ermunterte er zum Widerstand. Zwei Jahrzehnte sollte dieser scheinbar aussichtslose Kampf dauern. Seinen engsten Vertrauten und Sekretär aus der Zeit seiner Machtstellung aber, Alcide Degasperi, ersah er zum Nachfolger aus, wenn die Zeit reif sein würde.

1944, 1945 und 1946 (erste Volkswahlen nach der faschistischen Zeit) erging der Ruf an die Männer des alten Partito Popolare, der 1948, als die sich nunmehr Democrazia Cristiana nennende Partei durch den Spruch der Wähler zur Partei der absoluten Mehrheit heraufwuchs, als Führungspartei das politische und soziale Leben des Landes formen und entwickeln sollte. Don Sturzo aber, der aus der Verbannung zurückgekehrt war, blieb außerhalb der aktiven politischen Gestaltung, vielverehrter und gefürchteter Wegbahner der machtvollen katholischen Bewegung, die er vor 40 Jahren mit hervorragenden Männern, worunter auch der gegenwärtige Staatschef Gronchi, gegründet hatte. Er enthielt sich jeglicher politischer Einmischung und redete nur, wenn er darum gedrängt wurde. Aber sein Rat wurde vielfach gesucht. Seit einigen Jahren war er Woche für Woche als Mahner und Warner in Fragen der allgemeinen Politik, also nicht der Parteipolitik, interessanterweise in der liberalen Zeitung „II Giornale d’ltalia” tätig. Wegen seiner Verdienste um die Nation — dies die Begründung — wurde er schon vom Präsidenten der Republik, Einaudi, zum Senator auf Lebenszeit ernannt, wo er, unabhängig, wie er war, mit scharfer Diktion unnachgiebig alle Uebergriffe und vermeintlichen Verwirrungen anprangerte. Dieser Mahner — seine Stellung ähnelte der, die Leopold Kunschak oder auch Friedrich Funder in Oesterreich einnahmen — von hoher politischer Warte wird dem italienischen Parlament und der Oeffentlichkeit künftig fehlen. Die Trauer über seinen Tod sprengt die politischen Grenzen.

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