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JOSEPH MOBUTU / DER SELBSTLOSE REVOLUTIONÄR

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Das Ereignis, das die neue Phase der Kongokrise einleiten sollte, trug sich am 14. September Punkt 22 Uhr zu. Zu diesem Zeitpunkt hatte ein bishin nur einer Anzahl von Journalisten besser bekannter Oberst der Kongoarmee eine Pressekonferenz in einem Hotel in Liopoldville einberufen. Was er sagte, war knapp und eindeutig: An der Auseinandersetzung zwischen den führenden Politikern sei „nichts Legales und nichts Nationales mehr“. Die Armee wolle sie deshalb zur Beilegung ihrer Differenzen bis Jahresende „neutralisieren“ und die Macht bishin einem Kollegium von Studenten übergeben. In einem Lande, wo man überhaupt erst seit einigen Jahren auf eine Hochschule gehen durfte, treten eben Studenten an Stelle von Fachexperten.

Beobachter, die in der Erklärung dieses ebenso überraschenden wie originellen Staatsstreiches leere Worte zu hören meinten, waren im Irrtum. Innerhalb von zwei Tagen mußten die sowjetische und die tschechische Vertretung ihre Tore schließen und die von ihnen zur Verfügung gestellten Techniker abberufen.

Joseph Desirie Mobutu, der solcherhand zum „dritten Mann“ im Kongo geworden war, wird am 14. Oktober dreißig Jahre alt. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Sein bisheriger Lebenslauf illustriert die Problematik einer Generation. Der schlanke, junge Mann mit dem bebrillten Gesicht ist vielleicht ein typischer Vertreter jener Elite eines Volkes im Übergang zur Zivilisation, die sich ohne ihre Schuld Aufgaben gegenübersieht, für die sie nicht ausreichend vorbereitet worden ist. Mobutu hatte erst sieben Jahre lang in der „Force Publique“ gedient und es in dieser Zeit zum Sergeant-Comptable, das heißt Feldwebel des Rechnungsdienstes an der Armeeschule in Luluaburg gebracht. Da die Offizierskarriere ihm als Afrikaner in der belgischen Truppe verschlossen war, hielt er Umschau nach einer anderen Entfaltungsmöglichkeit und wurde zunächst Chefredakteur der Wochenzeitung der Truppe. 1956 verläßt er den Militärdienst gänzlich und macht die Journalistik zum Hauptberuf. Sinnvollerweise heißt die Zeitung, für die er schreibt, „L'Avenir“, die Zukunft.

Bei der Brüsseler Weltausstellung ist er im Informationsdienst tätig. Indes beginnt der Kongo politische Lebenszeichen zu geben, und Mobutu tritt 1959 der „Kongolesischen Nationalbewegung“, dem „Mouvement National Congolais“ JMNC) unter Patrice Lu-mumba bei. Als Parteifunktionär kann er einen Kurs des Institut d'Etudes sociales in Brüssel besuchen. Im Jänner 1960 tritt in Brüssel jene Konferenz zusammen, auf der die Gewährung der Unabhängigkeit für den 30. Juni festgelegt wird. Mobutu nimmt die Verbindung der afrikanischen Delegation zur Presse wahr. Im Frühjahr, als die erste Garnitur der Politiker bereits im Wahlkampf steht, vertritt Mobutu bei erneuten Besprechungen über Wirtschaftsfragen das MNC und am 3. Juli beruft ihn Lumumba als

Staatssekretär in sein Ministerratspräsidium. Die neue Regierung zählt allerdings schon 22 Minister und 14 Staatssekretäre. Am darauffolgenden Abend hat die Auslandspresse zu einem Diner geladen. Lumumba droht auszubleiben, aber Mobutu telephoniert ihm freundschaftlich: „Man läßt Journalisten nicht warten, Patrice.“ Der getadelte Chef erscheint und findet an diesem Abend viele freundschaftliche Worte selbst für die Belgier. Und Lumumba ernennt seinen tüchtigen Mitarbeiter zum Oberst und Generalstabschef.

An der ursprünglichen Loyalität Mobutus für Lumumba ist ni/ht zu zweifeln, und es scheint, daß er sich erst durch die augenscheinlichen Folgen der Politik Lumumbas zu anderswärtigem Handeln gedrängt fühlte. Das Bekanntwerden der Massaker von Bakwanga löste in Leopoldville Bestürzung aus. War es möglich, daß jetzt, nach der endlich errungenen Unabhängigkeit, so Afrikaner gegen Afrikaner vorgehen konnten? Mobutu demissioniert. Kasavubu enthebt Lumumba seines Amtes, aber dieser setzt sich zur Wehr. Die daraus resultierende Situation führt binnen kurzem zur völligen Paralysierung der Staatsgewalt. Kasavubu wollte Mobutu zum Oberbefehlshaber ernennen, aber dieser lehnt ab und nimmt nun seinen alten Posten wieder ein. Der Feuereinstellungsbefehl in Kasai wird unterzeichnet. In Leopoldville scheint es zunächst, daß Lumumba sich behaupten kann. Am 14. September begibt er sich in das Camp Leopold und versucht, im Vertrauen auf seine Rednergabe, die Soldaten auf seine Seite zu ziehen. Aber umsonst: Mobutu rettet ihm das Leben, bis die UNO-Bedeckung ihn vor der Rache der Balubasoldaten schützen kann.

Die Mehrheit in der Armee aber ist des Tauziehens der Politiker müde. Die Befehlshaber treten zusammen. Doch Mobutu ist für Mäßigung. Er unternimmt es, nun eine Unterbrechung der Auseinandersetzung herbeizuführen. Er weiß im Augenblick die Mehrzahl der Sympathien auf seiner Seite. Aber er weiß wohl auch, daß der Ausgang für ihn selbst ungewiß ist.

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