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Trommel statt Harmonium

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Die beiden Priester hatten zwei weiße Missionare mit, als die Militärstreife mit Sirenengeheul ihren Volkswagen in der Einbahnstraße stoppte. Die vier Verkehrssünder, die seit Jahren am Streit zwischen Staat und Kirche leiden, waren auf die Standpauke gefaßt. Der Staatsdiener hielt dem schwarz-weißen Quartett seine „kriminelle Fahrlässigkeit“ vor: Sie hätten allesamt ihr Leben riskiert in einer Zeit, da es Zaire sowieso an Priestern mangle. Er beließ es bei einer Verwarnung und lehnte selbst ein „malabiche“, das Handgeld, mit dem sich alle Ordnungshüter „schmieren“ lassen, kategorisch ab. Einige Straßenzüge weiter spielte ein städtisches Theater vor halbleerem Haus das von der staatlichen Presse hochgelobte Spiel vom miesen (weißen) Missionar, der sich am schönen schwarzen Heidenkind vergreift. Zwei aktuelle Schlaglichter aus dem afrikanischen Land, in dem sich geistige und weltliche Macht bitter befehden!

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Die beiden Priester hatten zwei weiße Missionare mit, als die Militärstreife mit Sirenengeheul ihren Volkswagen in der Einbahnstraße stoppte. Die vier Verkehrssünder, die seit Jahren am Streit zwischen Staat und Kirche leiden, waren auf die Standpauke gefaßt. Der Staatsdiener hielt dem schwarz-weißen Quartett seine „kriminelle Fahrlässigkeit“ vor: Sie hätten allesamt ihr Leben riskiert in einer Zeit, da es Zaire sowieso an Priestern mangle. Er beließ es bei einer Verwarnung und lehnte selbst ein „malabiche“, das Handgeld, mit dem sich alle Ordnungshüter „schmieren“ lassen, kategorisch ab. Einige Straßenzüge weiter spielte ein städtisches Theater vor halbleerem Haus das von der staatlichen Presse hochgelobte Spiel vom miesen (weißen) Missionar, der sich am schönen schwarzen Heidenkind vergreift. Zwei aktuelle Schlaglichter aus dem afrikanischen Land, in dem sich geistige und weltliche Macht bitter befehden!

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Nach den europäischen Siedlern und der „Union Miniere“, der mächtigen belgischen Bergwerksgesellschaft, sei nun die Kirche als dritte Säule des Kolonialismus vom Sok-kel zu stoßen: Also sprach 1969 Mobutu Sese Seko, der Präsident des schwarzen Riesenreiches am Kongo, und brach ohne Not einen Kulturkampf vom Zaun. Die Aversion, die Mobutu für die „Monsignori“ hegt, macht seitdem international Schlagzeilen.

Was mit Sticheleien begann, wurde bald zu einer regelrechten Springprozession: drei Schritte nach vorn, zwei zurück! Nacheinander wurden die katholische Universität Lovanium verstaatlicht, in den Kleinen und Großen Seminaren „revolutionäre Zellen“ etabliert, die katholischen Jugendbewegungen aufgelöst, die 31 konfessionellen Zeitungen und Zeitschriften, danach Kirchenfunk und -fernsehen kassiert. Der Höhepunkt glich einer Episode aus der englischen Kirchengeschichte, nur die Akteure waren schwarz. Wie König Henry II. im Jahre 1164 seinen Kanzler Thomas Becket vertrieb, schickte Präsident Mobutu 1972 den Kardinal Manila samt Sekretär ins römische Exil. Die Bischöfe steckten alle Schläge ein, murrend, aber ohne förmlichen Protest.

Nach seiner Flöte

Mobutu gewährte 1973 eine Pause. Kardinal Malula durfte zurückkehren, die Bischofskonferenz konnte in

Lubumbashi tagen. In wenigen Jahren war Mobutu gelungen, was den französischen Königen und den deutschen Kaisem nie gelang: eine Staatskirche. Die Bischöfe waren verunsichert, zerstritten und mundtot gemacht: „Die Partei hat uns einen Maulkorb verpaßt und in alle Welt hinausposaunt, wir seien .entfremdet und - verfremdet'. Das schlimmste ist: Alle Welt hat es geglaubt!“ Die Attacken der Staatspartei „Mouvement Populaire de la Revolution“ gegen die Kirche, die den Menschen tagtäglich einhämmert, die Kirche sei eine Handlangerin des geistigen Kolonialismus und sperre sich gegen die „,authen-ticite“, mit der Mobutu den afrikanischen Menschen seelisch befreit habe, hatten das Selbstverständnis der Kirche angekratzt. „Die Cam-pagne nahm uns allen Schwung. Dabei hatten wir die Afrikanisierung betrieben, Jahre bevor Mobutu der Gedanke dazu kam.“

Der Schock kam im Juni 1974, als das Politische Büro der Staatspartei mit einem Federstrich das Weihnachtsfest als kirchlichen Feiertag abschaffte. Im November 1974 ließen Rollkommandos der „Revolutionären Jugend“ alle Kruzifixe aus Schulen und öffentlichen Gebäuden verschwinden, im Dezember 1974 verschwanden die christlichen Schulen. Statt Religion tauchte „afrikanische Moral“ im Stundenplan auf. Die Bombe, die schon lange tickte, platzte mit der Rede des Bürgers und Politischen Kommissars Engulu:

Die Partei verklärte Mobutu zum Messias und erklärte den „Mobutuis-mus“ zur Staatsreligion.

Diese „Kriegserklärung“ nahm den Bischöfen die letzten Zweifel an den Zielen der Regierung: „Mobutu benimmt sich wie ein schwarzer Cäsar“, kommentierte ein Prälat, „alles muß nach seiner Flöte tanzen. Heute schafft er im Namen der Authentizität die Krawatten ab, morgen tauft er Berge, Flüsse, Städte um, übermorgen muß ganz Kinshasa im Gänsemarsch tos Stadion. Wir brauchen Zeit in Glaubensfragen und werden nicht jeder Laune parieren.“ Die Hierarchie spricht noch über zwei Kanäle: über die internationale Presseagentur D.I.A. mit Sitz in Kinshasa und durch das vorzügliche und straff geführte Generalsekretariat, das mit sämtlichen 48 Diözesen des Landes dreimal täglich Funkkontakt hält.

Lange Zeit, so meint ein Priester, sei der Streit zwischen Staat und Kirche in Europa wie ein sportlicher „fight“ bewertet worden. Links der General, recht der Kardinal. General Mobutu, der Mann, der den Kongo aus dem Chaos führte und die rebellierenden Provinzen rabiat in seinen Raster zwang; der Mann, der das Land am Strom vor dem Kommunismus bewahrte und sich anschickt, es wirtschaftlich und geistig von Europa abzunabeln: ein populärer Präsident, etwas mimosenhaft, aber kulant. Kardinal Malula dagegen, der Mann, der im Bürgerkrieg marodierende Soldaten vom Morden abbrachte; ein Manager: pünktlich, präzis, klug; römische Schule, flämischer Stil: Er trägt Jeans und fährt einen blauen VW.

Der „fight“ fand nie statt. Bis zum Dezember glaubte die Hierarchie an ein Mißverständnis, das durch persönliche Kontakte auszuräumen sei. Seitdem der antichristliche Charakter der „authenticite“ offenliegt, nennt auch die Kirche die Dinge beim Namen: „Es geht nicht mehr um Mode und Modelle, es geht um unseren Glauben.“

Als Mobutu die Dinge auf die Spitze trieb, machte die Kirche die Basis mobil. Denn die Kirche in Zaire, im „größten katholischen Land Afrikas“, hat in zehn Jahren ihr Gesicht verändert. Zum Beispiel in Kinshasa: Lingala statt Latein, schwarz statt weiß, Trommel statt Harmonium. Im Straßenbild fallen „les malulettes“, die schwarzen Schwestern, die Kardinal Malula stiftete, nur noch durch Ihr Brustkreuz auf. Als Mobutu drohte, alle Missionare auszuweisen, traf Malula Notmaßnahmen: Er setzte die „bakambi“ ein, Laien die Gemeinden leiten. Diese „Hirten“ arbeiten in den neuen „Cites“, die manchmal über Nacht aus dem Boden schießen. Denn Kinshasa, die größte Stadt Schwarzafrikasj daa aus Leopoldvflle keine 300.000 Einwohner zählte, platzt aus allen Nähten. Während die City von Kinshasa ihren Glamour kultiviert, wuchern die „cites“ entlang des Flusses. „Wir haben 100 Priester für zwei Millionen Menschen“, ' berichtet der Generälsekretär der Bischofskonferenz, Kaseba. „Wir mußten runter von den ausgetretenen Pfaden. Nach dem Konzil haben wir Laien in der Seelsorge eingesetzt. Das Diakonat erwies sich als eine halbherzige Lösung. Wir sind heute stolz, die ,bakambi in die Weltkirche eingebracht zu haben.“

Eine zweite Formel des Laien-apostolats sind die „Bilenge Ya Mwinda“, die „Kinder des Lichtes“. riten des Stammes der Ngbandi und füllen sie mit christlichen Inhalten.“ Der Priester wird zum „Baagaza“, der Jugend in Schriften und Geschichte des „christlichen Clans'' einführt. Nach Probezeit und Prüfung sendet der Clan sie aus, um neue Zellen zu gründen, mit „Sha-lom“ und mit Bruderkuß.

Als es Verbote hagelte, verkroch sich die Kirche nicht in den Untergrund. Sie hat die Herausforderung angenommen und die Afrikanisierung leidenschaftlich betrieben: in der Theologie, der Philosophie undl der Liturgie. Vor drei Jahren wurde in der Pfarrei Sankt Alfons in Kinshasa ein „zairischer Ritus“ entwickelt, der an Würde, Dauer und Feierlichkeit dem orthodoxen Ritus gleicht. Und Rom sieht zu und spendet seinen Segen. '.

Nie waren die Kirchen von Zaire voller als heute, da der Staat sie drangsaliert und kontrolliert Sie wurden zum Symbol des Widerstands, während schon das Gold von Mobutus Stern blättert: Er hat sein Land in eine wirtschaftliche Sackgasse manövriert und droht es nun in den Strudel des Bürgerkrieges von Angola hineinzureißen. Bei knapper Kasse muß er das Volk steuerlich belasten und die Privilegien der zivilen und militärischen Eliten beschneiden, was ihn Kopf und Kragen kosten kann. Staatspräsident Mobutu hat sein Ziel-nicht erreicht: Unter der tropischen Sonne gibt es kaum eine Kirche, die lebendiger wäre als die geschmähte und verfemte Kirche von Zaire.

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