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Verworrene Fronten

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Der Kreis war geschlossen! Aber welcher Kreis? Nichts könnte deutlicher die verworrenen, kreuz und quer laufenden, sich in einzelnen Punkten überschneidenden Fronten, die das Südtirol-Problem in Österreich geschaffen hat, charakterisieren, als diese frappierend verschiedenen Typen der Angeklagten, die sich da zu einer gemeinsamen Aktion gefunden hatten: Sprengstoff nach Südtirol zu liefern! 275 Kilogramm Donarit I.

Da ist der Tiroler Kurt Welser: hochaufgeschossen und hager, mit dem schmalen, bleichen Gesicht des Asketen — oder des Fanatikers. Offizierssohn, 32 Jahre alt, kaufmännischer Angestellter und seit 1955 Mitglied des „Berg-Isel-Bundes“. Wie er vor Gericht erklärt, ging es ihm vor allem darum, die Südtiroler moralisch zu stützen: durch lebhafte persönliche Kontakte das Gefühl des Getrenntseins zu verwischen. Er spielte Kurier und beschaffte seinen Landsleuten jenseits des Brenners alles — vom Kochtopf bis zur Trachtenjacke. Und Donarit. Er organisierte aber auch in Innsbruck „politische Schulungsabende“ für Südtiroler. Rund 250 Mann, „meist arme Bauernburschen“, hatte er zusammengetrommelt, die dann in Gruppen von 20 bis 30 Leuten nacheinander in der Zeit von Jänner bis April 1960 geschult wurden. Er gab ihnen unter anderem Verhaltungsmaßregeln, falls sie „zum Beispiel beim Hissen einer Tiroler Fahne“ von Karabinieri geschnappt werden sollten: Verhöre in italienischer Sprache ablehnen, bei Verletzungen, die während des Verhörs zugefügt wurden, sofort einen Arzt verlangen, keine Protokolle unterschreiben, die in italienischer Sprache abgefaßt sind usw. „Die Burschen haben mir nämlich erzählt, wie sich solche Verhöre abspielen“, erläutert Kurt Welser: Ätherbetäubungen und ins Kreuz geschlagene Stühle seien keine Seltenheit. Und er fügt hinzu: „So mancher zivilisierte Mare- sciallo aus Sizilien hat in seiner Schublade auch Daumenschrauben liegen, richtige mittelalterliche Daumenschrauben.“

Kurt Welser demonstrierte im März des Jahres 1960 auch vier interessierten Südtirolern, wie man Sprengladungen am günstigsten anbringt, um die erstrebte Wirkung zu erzielen. Er hat „ein kleins bisserl Erfahrung“ in solchen Praktiken, denn während des zweiten Weltkrieges hatte er in der Nähe seines Elternhauses in Natters einen Luftschutzbunker in den Felsen gesprengt. Als Dreizehnjähriger.

Das ist Kurt Welser, von dem Wolfgang Pfaundler erklärt, er sei „alles andere als ein Nazi". Und Pfaundler müßte das eigentlich wissen: er war Widerstandskämpfer, und sein Patriotismus steht außer Frage.

Welser ist es auch, der laut Anklageschrift im April 1960 bei einer Besprechung von Funktionären des Berg-Isel-Bundes, die im Anschluß an eine Vereinssitzung abgehalten wurde, an den Grazer Ottokar Destaller mit der Frage herantritt, ob er nicht Sprengstoff beschaffen könnte. Man ist ich darüber einig, daß die von der österreichischen Regierung geforderte Autonomie der falsche Weg sei: Man will Selbsbestimmung für Südtirol, und man ist der Meinung, daß die Öffentlichkeit durch Aktionen in Südtirol auf die Lage der Südtiroler aufmerksam gemacht werden müsse.

Ottokar Destaller, der getreu seiner Abstammung (1908 in Eibiswald geboren) vor Gericht im Steireranzug erscheint, ist das Gegenteil eines Widerstandskämpfers: Seit Mai 1933 Mitglied der ehemaligen NSDAP und auch während der Verbotszeit eifrig als Blockwart und Propagandaleiter tätig, nahm er aktiv am Juli-Putsch 1934 teil. Er war in den Jahren 1934 und 193 5 jeweils einige Monate in Haft und flüchtete schließlich im Februar 1936 nach Deutschland. Dort trat er der Österreichischen Legion bei. Destaller führt in Graz ein kleines Über- setzungs- und Vervielfältigungsbüro, er ist seit 1957 Mitglied des Berg- Isel-Bundes und seit Anfang 1959 Leiter der Zweigstelle Graz des Berg- Isel-Bundes: „Einer der rührigsten

Leute der steirischen Landesleitung“, wie Kurt Welser versichert.

Wildgans-Zitate im Gerichtssaal

Dieser Destaller kennt einen gewissen Dipl.-Ing. Ludwig Messerklinger, wohlbestallter Zivilingenieur für Bauwesen in Graz, der im erweiterten Ausschuß des Berg-Isel- Bundes sitzt. Bei ihm versucht es Destaller: „Ich habe mir gedacht, bei

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