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Donarit für Südtirol

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Es waren ernst zu nehmende Männer und eine Mutter von zwei Kindern, die sich am 6. und 7. Dezember vor einem Grazer Schöffengericht verantworten mußten, weil sie gegen das Sprengstoffgesetz verstoßen hatten. Keine abenteuerlustigen Bürschchen, die ihren pubertären Deutschnationalismus durch Schüsse auf das Parlament und durch das Werfen von Molotow-Cocktails abreagieren, sondern Familienväter, Menschen mit einer gesicherten Existenz, die etwas zu verlieren hatten, von denen man auch annehmen müßte, daß sie wußten, was sie taten.

Der Grazer „Südtirol-Prozeß“ wurde mit Spannung erwartet. Die Aufregung war so groß, daß wenige Tage vor Prozeßbeginn Gerüchte zu kursieren begannen. Man sprach von geplanten Rache-Attentaten „extremistischer Kreise", und als am Mittwoch um 8.30 Uhr das Gericht zusammentrat, hatte die Grazer Polizeidirektion deutlich sichtbare Vorsorge getroffen: Vor den beiden Eingängen des großen Schwurgerichtssaales waren Wache beamte postiert, die polizeilich-höflich jeden Eintretenden aufforderten, die Aktentaschen im Garderoberaum zu deponieren. Auch ganz dünne Aktentaschen. Drinnen im Saal war — unauffällig, versteht sich — die Staatspolizei vertreten. Der Saal war übrigens nicht voll besetzt: Man sah eine erkleckliche Anzahl junger Leute, die das Signum ihrer Geisteshaltung als Schmiß im Gesicht trugen, Berg-Isel- Bündler, den gewohnheitsmäßigen Gerichtssaalkiebitz und einen kleinen Kreis „Auch-Interessierter“: einen Beobachter der Tiroler Landesregierung, den Vertreter der italienischen Nachrichtenagentur ANSA, einen Redakteur der Bozener Zeitung „Alto adige“ und andere.

In gewisser Beziehung also eine Ex- klusiweranstaltung. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt, als die fünf Angeklagten hereingeführt wurden, als man ihnen allenthalben aufmunternd zunickte, winkte und damit zu verstehen gab: Wir sind ja da. Die Angeklagten winkten oder nickten auch. Der Kreis war geschlossen, die Verhandlung begann.

Baufirmen, die doch viel herumsprengen, müßte es am leichtesten sein, Sprengstoff aufzutreiben." Als Messer- klinger hört, worum es geht, ist er, laut Anklageschrift, sogleich einverstanden. Er wird der Dritte in diesem seltsamen Bunde: Idealistisch, aber offenbar etwas romantizistisch-schwär- merisch. Auf die Frage des Vorsitzenden, ob es stimme, daß er 30.000 S Monatseinkommen habe, meint er: „So genau kann man das nicht feststellen.“ Der Vorsitzende: „Na, ungefähr?" Messerklinger: „Zwanzigtausend. “

Der 40jährige Zivilingenieur trägt einen gepflegten Vollbart und langes, welliges Haar. Er beginnt vor Gericht Anton Wildgans variiert zu zitieren: „… denn dieses Volkes großes Händefalten ist nur gerichtet auf Gerechtigkeit“, und erklärt: „Wer die Heimat liebt und sich in der heutigen Zeit des Materialismus noch Ideale bewahrt hat. der muß den Südtirolern helfen. Ich halte mich für moralisch unschuldig.“ Im Saal wird applaudiert.

Durch den 33jährigen Diplomingenieur Hubert Thumer wird das Terzett zu einem Quartett. Thumer ist eher farblos: der Sympathisant, der Mitläufer. Er ist bei der Mayr-Meln- hofschen Forstdirektion tätig und leitet seit Februar 1960 den Bau des Zementwerkes der Mayr-Melnhofschen Montanwerke in Peggau. Messerklinger kennt Thumer von seiner beruflichen Tätigkeit her und fragt ihn, ob er den Sprengstoff beschaffen könne. Es wird von einer halben Tonne gesprochen. Das ist Thumer allerdings zuviel. Immerhin werden es 275 Kilogramm, elf Kisten Donarit I samt Zündschnur, die Thumer am 8. August 1960 mit Bezugschein für Messerklinger kauft. Da er Rechenschaft ablegen muß, wofür das Donarit verwendet wird, gibt er an: „Sprengung einer Wasserleitung.“

Das übrige ist eine Frage der Organisation: Messerklinger holt noch am gleichen Tag mit seinem Personenwagen die „Lieferung“ ab, verständigt Destaller, dieser informiert Weiser- und bereits am nächsten Tag holen Frau WM Äj Und Vine Südtirplerin mit einem Lieferwagen Sie deutlich gekennzeichneten Kisten ab. Das Spreng- material wird in das von Welser ausfindig gemachte Versteck gebracht: einen Pfarrhof in Kalkstein (Osttirol). Sieben Kisten werden von Südtirolern nach Italien geschmuggelt. Am 15. September werden zwei Südtiroler in der Nähe von Innervillgraten von österreichischen Zollbeamten ertappt, als sie die restlichen vier Kisten schwarz über die Grenze bringen wollen. Innerhalb kürzester Zeit ist der Ring mit sämtlichen Beteiligten aufgeflogen ᾠ

Vor Gericht versucht Kurt Welser

— entgegen seiner früheren Verant wortung — klarzumachen, er habe den Sprengstoff aus wirtschaftlichen Gründen beschaffen wollen, um notleidenden Südtiroler Bergbauern zu helfen, damit sie ihre lebensnotwendigen Zubringerwege in den Berg sprengen können. Destaller und Messerklinger wollen auf Wunsch von zwei Südtirolern gehandelt haben, mit denen sie in Graz zusammengekommen waren. („Ältere Herren mit zahlreichen Kindern, die dafür bürgten, daß mit dem Sprengstoff kein Mißbrauch getrieben wird!") Angeblich sei eine großangelegte Flugzettelaktion geplant gewesen, und der Sprengstoff sollte als Treibsatz für Propagandaraketen und Böller dienen. Destaller: „Mit dieser Methode haben die Kommunisten beim Katholikentag in München eine beachtliche Propagandawirkung erzielt.“ Donarit I ist allerdings für derartige Aktionen zu brisant: Durch die starke Sprengwirkung würde die Pappdeckelhülle der Rakete sofort zerrissen, die Treibwirkung bliebe aus.

Das Urteil

Am zweiten Verhandlungstag wird das Urteil verkündet: Kurt Welser ein Jahr, Destaller acht Monate, Diplomingenieur Messerklinger und Elisabeth Welser je sechs Monate schwerer verschärfter Kerker. Nur Diplomingenieur Thumer wird freigesprochen.

Der Staatsanwalt forderte den Schuldspruch mit folgenden Worten: „Sprechen Sie die Angeklagten im Sinne der Anklage schuldig, Sie werden damit eine Handlung, die sich nach dem österreichischen Gesetz als Verbrechen darstellt, der gerechten Sühne zuführen und damit auch einen Beitrag leisten, daß in Zukunft politische Extremisten davon abgehalten werden, ähnliches zu tun. Ich glaube als Frontsoldat des ersten Weltkrieges und als Kriegsbeschädigter legitimiert zu sein, im Namen aller derjenigen zu sprechen, die unmittelbar das Leid, den Schrecken und die Not im Gefolge solcher Terror- und Zwangs-

ak’tionen erlebt haben. Wir haben für Bombenanschläge und Zeitzünder, für Sprengstoff attentate und Terrorhandlungen jeglicher Art, mögen sie auch der Durchsetzung politischer Ziele dienen, äußerst wenig Verständnis.“

Es war ein seltener Prozeß, denn Österreicher wurden von einem österreichischen Gericht wegen Handlungen abgeurteilt, die sich ausschließlich gegen einen ausländischen Staat gerichtet hatten. Die Anklagebehörde war sich dabei bewußt, daß sie damit weiterging als andere Staaten, die in solchen Fällen eine Verfolgung nur beschränkt oder gar nicht zulassen. Begründet wurde diese Haltung mit der Treue gegenüber der rechtsstaatlichen Ordnung der Republik Österreich.

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