Zwischen Sein und Schein

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Das Theater an der Josefstadt zeigt George Feydeaus "Der Floh im Ohr". Elfriede Jelinek als Übersetzerin und der Regisseur Hans-Ulrich Becker transponieren das 1907 uraufgeführte Stück des französischen Dramatikers ins Heute. Die bissige Gesellschaftssatire überzeugt immer noch.

Wann immer niveauvolle Unterhaltung gefragt ist, eignet sich Georges Feydeau. Doch diesmal gibt es einen Mehrwert - und das Theater in der Josefstadt hat bei seiner Wahl bewiesen, dass die Komödie des französischen Boulevardmeisters aus dem Jahr 1907 zeitlos amüsant und gleichsam brisant ist.

In Elfriede Jelineks Übersetzung wird "Der Floh im Ohr" nämlich zu einer zynisch-komischen Farce, die im großbürgerlichen Milieu angesiedelt ist. Im Jelinek'schen Vergrößerungsglas entwickeln sich aus der (schon etwas brüchigen) Scheinmoral und den Doppelzüngigkeiten dieser gutbürgerlichen Unternehmerfamilie wahrhaft groteske Situationen, die Feydeaus Ausgangsbasis der Verwechselungen auf die Spitze treiben.

Jelineks Spiel mit der Sprache

Jelinek hat nun schon zum zweiten Mal eine klassische Gesellschaftskomödie bearbeitet. Nach ihrer Version von Oscar Wildes "Bunbury" (2004 am Akademietheater) legt sie in ihrer Fassung vom "Floh im Ohr" den Blick auf die Diskrepanz zwischen Handeln und Sprechen, zwischen dem Sein und dessen äußerer Erscheinungsform. Das heißt also: Her mit einer Dienerlivree und der soziale Status ist etabliert. Das gilt freilich auch vice versa. Jelineks Bearbeitung fokussiert die Enttarnung von Manipulationen und das ist ziemlich komisch und bisweilen auch brutal desavouierend.

In der Inszenierung von Hans-Ulrich Becker wird diese Herrengesellschaft, die sich zwischen Impotenz und überbordendem Testosteron bewegt, ins Heute und aus ihrer Diskretion geholt.

Was für Blüten treiben da die erotischen Fantasien der feinen Leute? Im Etablissement "Schmidts Katze" kann all jenes ausgelebt werden, das dann im Salon - Noblesse oblige - nicht einmal denkbar wäre. In Alexander Müller-Elmaus Bühne ist dieses als besonders famos angepriesene Etablissement ein billiges Puff, in dem das bewährte Türe-auf-Türe-zu-Verwicklungsspiel nicht zu stoppen ist.

Becker brachte da schon reichlich Mut mit, dieses Spiel von jeglicher Wohlanständigkeit zu entschlacken, um das Durcheinander der menschlichen Bedürfnisse im Konflikt mit ihrem wohlerzogenen Über-Ich geradeheraus zu zeigen.

Auch die Bühne deutet zu Beginn an, was zu erwarten ist: Eine Zimmerpflanze im Salon steht quer aus der Wand, zwischen eleganter Etikette und dezentem Getue dominiert bei Feydeau die Lust, die er gekonnt im Gewande der Komödie entlarvt.

Das Ensemble spielt mit unglaublichem Tempo und Verve und liefert die darstellerischen Notwendigkeiten, um diese Verwechslungskomödie flott über die Rampe zu bringen.

Josefstadt kokettiert mit eigenem Image

In der Doppelrolle des Versicherungsdirektors Chandebise bzw. des dem Alkohol zugeneigten Bordelldieners Poche ist André Pohl zu sehen, ein Pantoffelheld, phasenweise ein wenig substanzlos gespielt, während Alexander Pschill als dessen Neffe Camille reüssiert. Seinen Sprachfehler (er spricht perfekt konsonantenfrei!) macht er durch körperliche Kompensationen wett und gibt eine Dynamik vor, die die gesamte Inszenierung trägt.

Sona MacDonald ist als aufgewühlte Madame Chandebise zu sehen, die ihren Mann zwar betrügen möchte, aber nur solange sie sich seiner sicher fühlt. Als sie fälschlicherweise meint, er hätte eine andere, stehen ihre Moralvorstellungen Kopf. Mit Katharina Pichler als temperamentvoller Freundin Lucienne und Michael Dangl als bewusst klischeehaft dargestelltem Spanier, der mit überzeichnetem Lispeln das Durcheinander auf die Spitze treibt, hat die Inszenierung das Publikum vollends auf ihrer Seite.

Das Theater in der Josefstadt kokettiert heftig mit seinem Image der Bürgerlichkeit. Und lacht darüber.

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