Driftet Lateinamerika nach links?

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Ein - äußerst lesenswertes - Buch hinterfragt die gängige These vom politischen Richtungswechsel.

Nach dem fulminanten Wahlsieg von Evo Morales in Bolivien und mitten im Superwahljahr (mit Wahlen in 11 Ländern) hat die Frage "Driftet Lateinamerika nach links?" neues Gewicht erhalten. Was ist von der vielbeschworenen Achse Venezuela - Brasilien - Argentinien zu halten? Wie gründlich fällt die Abkehr von neoliberalen Politiken dort jenseits der Rhetorik in der Praxis tatsächlich aus? Handelt es sich wirklich um eine Abkehr von neoliberaler Hegemonie? Oder findet eher eine Redynamisierung des Modells im Sinne eines sozialdemokratischen Neoliberalismus statt?

Transzendentale Fragestellungen, denen das Buch zunächst unter thematischen Gesichtspunkten nachgeht, dann anhand von Länderbeispielen. Dabei wird der Hegemonie-Begriff von Antonio Gramsci verwendet, wonach Hegemonie sich nicht einfach nur auf Zwang gründet, sondern auf eine Kombination von Zwang und Konsens. Dargestellt werden soziale Kämpfe gegen Privatisierungen, Neoliberalismus und in der Landwirtschaft. Der Wiener Wirtschaftsprofessor Joachim Becker ist als Koautor eines Aufsatzes über monetäre Strategien in Argentinien, Uruguay und Brasilien mit von der Partie. Besonders aufschlussreich sind die Ausführungen zum Mercosur und zur häufig unterschätzten Rolle der Beziehungen zur eu - gerade im Hinblick auf den bevorstehenden eu-Lateinamerika-Gipfel. Eine Diskussion der Argentinien-Krise, der bolivarischen Revolution in Venezuela und Brasilien unter Lula fehlt ebenso wenig, wie ein Ausblick auf Bolivien und Peru. Häufig - vor allem im ersten Teil - sind die Analysen etwas ökonomielastig, doch kommen insgesamt auch die sozialen Akteure nicht zu kurz. Dabei, so stellen die Autoren fest, überwiegen zivilgesellschaftliche Netzwerke, manchmal sind klassische Gewerkschaften beteiligt. Wo der Widerstand gegen den Neoliberalismus längerfristig angelegt ist, gehen aus diesen Netzwerken auch Parteien hervor.

Am Ende der sehr informativen und gedankenreichen Analysen gelangen die Herausgeber zu dem Fazit, es handle sich eher um eine Reorganisation der bürgerlichen Hegemonie, denn um eine grundsätzliche Abkehr vom Modell. Es gehe "nicht um die ... Perspektive eines irgendwie gearteten anti-kapitalistischen Projekts, sondern um die Korrektur der schlimmsten ,neoliberalen Auswüchse'".

Lateinamerika: Verfall neoliberaler Hegemonie?

Dieter Boris, Stefan Schmalz, Anne Tittor (Hg.). VSA-Verlag, Hamburg 2005, 284 Seiten, 23,50 e

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