Werbung
Werbung
Werbung

Simone de Beauvoirs Geburtstag jährt sich zum 100. Mal, und prompt verkündet in jedem Medium eine Frau, wie aktuell sie sei und dass man sie dringend lesen müsse. Keine Frage, dass ihre Buch "Das andere Geschlecht" nicht mehr wegzudenken ist, wenn es darum geht, wie Frauen zu Frauen gemacht werden und dass sie in ihrer Kritik daran, wie ein "Wesen" der Frau aus der Natur abgeleitet wurde und wird, recht hat. Aber muss man sie deswegen zur säkularen Heiligen ohne Schattenseiten hochstilisieren und jede Dummheit verschweigen, für die sie sich engagierte?

Während Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre ihre Eigenständigkeit zelebrierten und nur ja nicht als Paar abgestempelt werden wollten - man erinnere sich: getrennte Wohnungen und die groteske Anrede per "Sie" -, hielten sie eisern zusammen, wenn es darum ging, strategischen Umgang mit der Wahrheit zu pflegen und die sowjetischen Verbrechen unter den Tisch zu kehren. Reicht das auch heute noch nicht, um die beiden endlich als aufrichtige und seriöse Intellektuelle zu diskreditieren? Offenbar nicht. Im profil ist der dümmste aller Jubelartikel zu Simone de Beauvoir mit einem Foto von ihr und Sartre "1965 in Litauen" illustriert, ohne zu erwähnen, dass das Land damals von der Sowjetunion okkupiert war und sich die beiden zu Propagandazwecken an die Ostseeküste karren ließen, die für alle anderen Ausländer gesperrt war und wo die Sowjetbonzen ihre Sommerhäuser hatten.

Albert Camus hat gezeigt, dass man schon in den 1940er und 50er Jahren klüger und vor allem aufrichtiger sein konnte. Er hat als einziger Chefredakteur Frankreichs gegen den amerikanischen Atombombenabwurf auf Hiroshima öffentlich protestiert, aber auch die brutale Unterdrückung des Ungarnaufstandes und den "Sozialismus der Galgen" kritisiert. Sartre und sein Kreis hingegen bekannten sich zum Kommunismus - auch auf dem Höhepunkt des stalinistischen Terrors. "Er und Simone de Beauvoir sind für mich Symbolfiguren für die Dummheit vieler westlicher Intellektueller - verabscheuungswürdig", sagte der polnische Schriftsteller Czeslaw Milosz, ein brillanter Diagnostiker des kommunistischen Systems ("Verführtes Denken"), 1980 in einem Gespräch mit der Zeit. Und: "Ich halte Sartre nicht vor, dass er Irrtümer beging, sondern dass er vielleicht voller edler Motive, aber dumm war. Etwas misslich für einen Philosophen."

In dieser Dummheit war Simone de Beauvoir Sartres willige und unzertrennliche Gefährtin. Wäre ihr 100. Geburtstag nicht ein Anlass, das endlich einmal auszusprechen? Oder muss Frauensolidarität blind sein und alles gutheißen, wenn es um eine Ahnfrau des Feminismus geht?

cornelius.hell@furche.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung