Dekonstruktion der Weiblichkeit

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Auf Sartres Ablehnung der vorgegebenen Natur baute Simone de Beauvoir ihre Kritik am Mythos der Weiblichkeit auf.

Im Gegensatz zu den Hauptvertretern der phänomenologischen und existenzphilosophischen Tradition, in der Jean-Paul Sartres Denken sich bewegte, namentlich Edmund Husserl, Martin Heidegger und seinem Hauptopponenten Gabriel Marcel, welche die Geschlechtlichkeit des Menschen vollkommen ausblendeten, bezog Sartre die bis dahin vernachlässigte und als irrelevant angesehene Geschlechtlichkeit explizit in seine Philosophie mit ein. In der "sexuellen Haltung" sieht Sartre ein ursprüngliches Verhalten gegenüber anderen, das er in "Das Sein und das Nichts" im Rahmen der Begierde als fundamentale Struktur des menschlichen Miteinanderseins thematisiert. "Die Begierde ist ein ursprünglicher Modus der Beziehungen zum Anderen, der den andern als begehrenswertes Fleisch auf dem Hintergrund einer Welt der Begierde konstituiert." Dadurch werden erstmal im Rahmen der Philosophie diejenigen Machtstrukturen sichtbar, die sich auf der Ebene der Sexualität konstituieren. Sartres Thematisierung der Sexualität unter gleichzeitiger Ablehnung einer vorgegebenen Natur des Menschen bildete das Fundament, von dem aus weitere Überlegungen zur Geschlechterproblematik ihren Ausgang nehmen konnten.

Keine vorgegebene Natur

Simone de Beauvoir baut in ihrer Kritik am Geschlechterverhältnis in der patriarchalen Gesellschaft nicht nur auf diesen Erkenntnissen auf, sondern entwickelt eine eigene Philosophie des Geschlechterverhältnisses, welche nunmehr sowohl als Basis für die Zweite Frauenbewegung, als auch für die sich neu konstituierende feministische Theorie fungiert. Man sollte Beauvoir nicht einfach als Gleichheitsfeministin auffassen, der es allein darum ging, den Frauen gleiche Rechte wie Männern zukommen zu lassen - wie dies ja bereits das Anliegen der ersten Frauenbewegung war -, sondern vielmehr darum, den Mythos der Weiblichkeit, der den Frauen eine ganz bestimmte Natur zuordnen will, zu dekonstruieren. Im "Anderen Geschlecht" vertritt Beauvoir die These, dass die Weiblichkeit weder Wesen noch Natur ist, sondern eine auf Grund gewisser physiologischer Gegebenheiten von der Gesellschaft geschaffene Situation. "Keine biologische, psychische oder ökonomische Bestimmung", betont sie, "legt die Gestalt fest, die der weibliche Mensch in der Gesellschaft annimmt.

Radikaler Humanismus

Die gesamte Zivilisation bringt dieses als weiblich qualifizierte Zwischenprodukt zwischen dem Mann und dem Kastraten hervor. Nur die Vermittlung anderer kann ein Individuum zum Anderen machen. Solange das Kind für sich existiert, vermag es sich nicht als geschlechtlich differenziertes Wesen zu begreifen."

Sartres und Beauvoirs Antinaturalismus wendet sich gegen all diejenigen Konzepte, welche Menschen auf eine vorherbestimmte Natur, beziehungsweise eine fixe Identität festlegen und aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Rasse oder ihres Geschlechts unterdrücken und ausschließen wollen. "Der Mensch, wie ihn der Existentialist sieht", schreibt Sartre in "Der Existentialismus ist ein Humanismus", "ist nicht definierbar, weil er zunächst nicht ist. Er wird erst dann, und er wird so sein, wie er sich geschaffen haben wird. Folglich gibt es keine menschliche Natur, da es keinen Gott gibt, sie zu ersinnen." Bezüglich des Geschlechterverhältnisses bedeutet dies, dass auch die Herrschaft des Mannes über die Frau, - wie dies bei Immanuel Kant noch der Fall ist - nicht mehr von der "natürlichen Überlegenheit der Mannes" über die Frau und den verschiedenen Zwecken, die sie zu erfüllen haben, ableitbar ist. Der existentialistische Antinaturalismus stellt sich so im Kern als ein radikaler Humanismus heraus: Die menschliche Freiheit als höchster Wert muss fortwährend neu behauptet und neu erschaffen werden im Kampf gegen alle entfremdenden und unterdrückenden Mechanismen. Unterstützung erhält Sartres und Beauvoirs Antinaturalismus durch die neuesten Erkenntnisse der Genforschung, welche die Kultur-Natur-Dichotomie mittlerweile als überholt ansieht. Neuste Forschungsergebnisse legen nahe, dass die Kultur, das heißt die menschliche Praxis, in einem weitaus höheren Ausmaß einen direkten Einfluss auf die Gene nimmt, als bisher angenommen wurde. Bleibt abzuwarten, wie sich dies alles in Zukunft auf das Geschlechterverhältnisses auswirken wird und ob es zu einem Umdenken und einer grundlegenden Neuorganisation in diesem Bereich kommen wird.

Die Autorin ist Lektorin am Institut für Philosophie der Universität Wien.

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