Facebook und das Glück der Fertigsoße

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Die Gegenwart ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. In früheren Jahrhunderten, da hat zwar ein Knochenbruch womöglich noch den baldigen Tod bedeutet, da gab es Pest und Cholera, da musste man bei Niederkünften mit dem Exitus rechnen und die Räuber aus dem Walde fürchten. Heute gibt es -zumindest in den meisten Ländern der westlichen Welt - einigermaßen intakte Gesundheitssysteme und Sicherheitsstandards. Trotzdem nehmen die Angstzustände zu. Warum bloß?

Vielleicht wegen der "Unheimlichkeit" der modernen Risiken, wie Ulrich Beck bereits 1986 in seinem Klassiker "Die Risikogesellschaft" schrieb - wegen all der Gefahren also, die mit menschlichen Sinnen kaum zu fassen sind: man denke nur an Radioaktivität oder chemische Nahrungsmittelzusätze. (Erderwärmung und internationaler Terrorismus waren Mitte der 1980er-Jahre ja noch nicht so sehr en vogue.) Vielleicht könnte es aber auch am "Prinzessin-auf-der-Erbse"-Syndrom liegen, vermutet der Grazer Soziologe Manfred Prisching: "Wir leben so sicher, dass die kleinste Unsicherheit Angst auslöst."

Und auch sonst ist die Spätmoderne für fröhliche Kulturpessimisten eine dankbare Zeit. Manfred Prisching, FURCHE-Leserinnen und -lesern auch als regelmäßiger Kolumnist dieser Zeitung vertraut, ist einer der brillantesten und wortmächtigsten Vertreter dieser Zunft. Gemeinsam mit dem Grazer Künstler Franz Yang-Mocnik hat er in einer "Parallelaktion" zwischen Wissenschaft und Kunst die bemerkenswertesten Trends der spätmodernen Gesellschaft nachgezeichnet. "Verrückt. Verspielt. Verschroben." nennt sich das Ergebnis dieser Bemühungen, bei denen die bestmögliche "Synchronisierung zweier Sprachen" im Zentrum stand. Jedem der 60 soziologischen Essays steht eine mehr oder weniger surreale Zeichnung samt Erläuterungen gegenüber; manchmal ergänzen sich die beiden Interpretationen auf den ersten Blick, manchmal stehen sie in einer gewissen Spannung oder erfordern ein längeres Schauen und Tasten.

Schamlose Stressgesellschaft

Die Überzeugung, dass die Spätmoderne kein Ort von übertriebender Heimeligkeit ist, scheint Prisching und Yang-Mocnik jedenfalls zu einen. Sie ist nicht nur das "Zeitalter der Angst", sie ist auch die Ära der "Bluffgesellschaft" und der "Stressgesellschaft", der "Schamlosigkeit", der "Selbstinszenierung", der digitalen "Entehrungen", des "Auswahlfanatismus", der "Prothesengötter" und der "narzisstischen Epidemie". So etwas wie die "klassische Gemeinschaft" ist da natürlich auf dem Holzweg: Was zählt, sind tausend Facebook-Freunde -auch wenn sie im Ernstfall bei der Pflege der Großmutter ebensowenig helfen wie die Kumpels vom Fußballplatz. Unnötig zu erwähnen, dass wir auch in einem Zeitalter der Werbung leben, in dem man nie genug haben kann. "Die Sünde ist die Unkenntnis über Autos und Lebensmittel, Verdauungstabletten und Versicherungsgesellschaften", schreibt Manfred Prisching. "Der Weg zur Erlösung ist der Konsum. Er führt in den Himmel, denn nur die richtige Versicherung lässt einen Geborgenheit verspüren; nur das richtige Mundwasser lässt soziale Isolierung überwinden; und nur die Fertigsoße kann heute noch eine glückliche Familie gewährleisten." Begleitet wird dieser spätmoderne Kaufrausch von einer Kultur des Anything goes: Passionierte Städter, denen sich noch vor wenigen Jahren angesichts von Trachten der Magen umgedreht hat, werfen sich plötzlich graugrüne Jopperl über. So etwas wie Authentizität wird dabei natürlich diffus: Jeder soll möglichst originell und einzigartig sein -aber zugleich bitte auch anschlussfähig bleiben. Ein Phänomen, das Prisching "konformistischen Nonkonformismus" nennt.

Man hätte all diese Trends natürlich auch um eine Nuance weniger dramatisch sehen können -oder etwas früher als im vorletzten Kapitel darauf hinweisen können, dass inbesondere Europa bei allen Verrücktheiten, Dummheiten und Unanständigkeiten eine "ungeheure Leistung ist" und es in der Geschichte meist deutlich schlechtere Lebensbedingungen gegeben hat als heute. Doch was gibt es Anregenderes und Amüsanteres als gut gemachte und brillant formulierte Verrisse -auch wenn sie unsere Gegenwart betreffen.

Verrückt. Verspielt. Verschroben. Unsere spätmoderne Gesellschaft: Texte und Bilder. Manfred Prisching/Franz Yang-Mocnik. Styria Premium 2014,159 S., geb., € 29,99

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