Wir alle spielen Theater

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Unter dem Titel „Das Selbst. Die Maske. Der Bluff“ hat der Grazer Soziologe Manfred Prisching eine luzide Gesellschaftsanalyse vorgelegt. Keine Anklage, sondern ein Beitrag, uns selbst besser zu verstehen.

Schlicht als einen „zeitdiagnostischen Spaziergang“ will Manfred Prisching sein neuestes Buch verstanden wissen. Er verfolge „keine therapeutischen Absichten“, wolle kein „Rezeptbuch zur Rettung der Welt“ oder auch nur eine „Blaupause für die Gestaltung einer anderen Gesellschaft“ vorlegen. Indes, so unprätentiös sich der Grazer Soziologe gibt, so sehr ist doch ein nicht nur diagnostischer, sondern durchaus zeit- und gesellschaftskritischer Impetus in diesem Buch erkennbar. Kenner des Autors (etwa die Leserinnen und Leser seiner FURCHE-Kolumnen) wird das nicht wundern: Prisching betreibt sein Fach nicht bloß als akademisches l’art pour l’art, rein deskriptiv, vielleicht noch vom Elfenbeinturm herunter fein lächelnd – sondern als engagierter Zeitgenosse, wacher Citoyen und – ja, auch dies – weltoffener Christ.

Aufklärerische Intention

Solche Haltung gilt freilich manchen als suspekt. Deswegen wird er auch gelegentlich von jenen, die gerne auf den Wellen des Zeitgeists surfen und diesen Opportunismus für Optimismus halten, mit dem Etikett „Kultur-Pessimist“ versehen. Das trifft auf Prisching mit Sicherheit nicht zu, wohl aber ist er Kultur-Kritiker – und als solcher Optimist im eigentlichen Sinne. Denn im Unterschied zu den Zynikern und Trittbrettfahrern aller Schattierungen halten Leute wie er die Dinge prinzipiell für veränderbar.

Dies lässt sich schon am dreigliedrigen Titel exemplifizieren: Der Kult um das Selbst, die Inszenierung der je eigenen Individualität, steht für Prisching in seltsamem Widerspruch zur Bereitschaft des heutigen Menschen, sich vorgegebenen Masken, also Rollenbildern und Verhaltensmustern anzupassen. Prisching spricht hier von „konformistischem Individualismus“: „Jeder benötigt, was ihm aufgenötigt wird. Jeder denkt, was ihm zugedacht wird.“ Um aber diese Kluft zwischen Individualität und Konformität zu überbrücken, braucht es den groß angelegten Bluff – ein Sammelsurium an „Vernebelungsstrategien“, um „das Unvereinbare vereinbar zu machen“. Dieser Dreischritt des Buches markiert aber nicht eine Geschichte des Verfalls oder Niedergangs; vielmehr liegt ihm eine im Wortsinn desillusionierende, ent-täuschende, also genuin aufklärerische Intention zugrunde.

Die Aufklärung, um die es Prisching geht, ist allerdings frei von jeglichem moralisierenden Pathos, von verbissenem Weltverbesserertum. Sie zeichnet sich vielmehr durch eine Art heiterer Gelassenheit aus, die nicht zuletzt ganz am Ende des Buches durchschlägt: „Da die Inszenierung erwartet wird, kann die Welt ernstlich böse werden, wenn man sie nicht dergestalt betrügt.“ Diese Welt aber ist nicht so schlecht, wie uns manche Untergangspropheten weismachen wollen: „Jedenfalls ist sie, um mit Woody Allen zu sprechen, der einzige Platz, wo man ein anständiges Steak kriegen kann.“ Nicht das Geringste, was sich von der Welt sagen lässt – aber gewiss auch eine Facette des Spiels zwischen Selbst, Maske und Bluff.

Erfolgs- und Verlustgeschichte

In immer neuen Anläufen unternimmt es Prisching, dieses Spiel zu analysieren, von verschiedenen Seiten zu betrachten, um es möglichst gut verstehen zu können. Ausgangspunkt der Überlegungen ist eine in der Geschichte der Menschheit nie dagewesene Freiheit: im quantitativen Sinne der Wahl zwischen verschiedenen Optionen und im qualitativen Sinne der Möglichkeit zur Selbstbestimmung. Nach Auflösung der historischen Sozialformen und Institutionen, nach Verlust traditioneller Sicherheiten bleibe nur das Individuum, hält Prisching fest. Die sich im Zuge dieser Entwicklung durchsetzende Idee von der Unverwechselbarkeit jedes Einzelnen und seiner unveräußerlichen Würde ist freilich eine zutiefst in der jüdisch-christlichen Tradition wurzelnde. Sie hat unter modernen, pluralistischen Bedingungen aber auch eine Kehrseite: Das „Du kannst“ geht einher mit dem „Du musst“: „Die Selbstmanagement-Aufforderung ist unmissverständlich: Werden Sie zum Unternehmer Ihres Lebens!“ Dass diese implizite Aufforderung für viele zur Überforderung wird, liegt auf der Hand.

Prisching plädiert nicht für ein vermeintlich besseres Gestern – aber dafür, in der „Erfolgsgeschichte“ der Moderne auch die „Verlustgeschichte“ wahrzunehmen: „Die Welt ist ungeordnet, bedeutungslos, entzaubert“, schreibt er. Für den Einzelnen bedeutet dies, dass individuelle Sehnsüchte – etwa in Liebesdingen und Familienbelangen – und deren Realisierbarkeit immer weiter auseinanderklaffen: Schlagworte dazu sind „Unsicherheit“, „Einsamkeit“, schließlich „Unbehagen“. Welches, so kann man ergänzen, wohl dadurch noch verschärft wird, dass, wer solches artikuliert, schon als für das große Selbstinszenierungsspiel ungeeignet gilt.

Aber, paradox genug, so weit ist es mit unserer Individualität eigentlich gar nicht her. Eine hoch komplexe und damit extrem störungsanfällige Gesellschaft kann zuviel Individualität auch gar nicht brauchen – in einer solchen Gesellschaft „muss der Einzelne berechenbar sein“. Dazu kommt, dass die globale Krise den Hang zur Selbstentfaltung stark relativiert hat. Gerade der jüngeren Generation der 15- bis 35-Jährigen schreibt Prisching ein hohes Maß an Nüchternheit und Realismus zu. Doch die Krise hat hier vielleicht nur verstärkt und beschleunigt, was zwangsläufig gekommen wäre: den Trend hin zu einem Konformismus, der sich individualistisch gibt. Weil der Einzelne eben mit dem permanenten Entwurf seines Selbst, einem Leben als work in progress, überfordert ist, sucht er Orientierung bei äußerlichen und innerlichen Verhaltensmustern, welche die Gesellschaft bereithält. Es funktioniert ein bisschen „nach dem Muster von Dilettanten im Baumarkt“, meint Prisching sanft ironisch: „Die Auswahl ist groß, die Entscheidung ist frei, und am Ende haben alle dasselbe Balkongeländer auf dem Wochenendhaus.“

Strategien der (Selbst-)Täuschung

Um mit all diesen Widersprüchen aber umgehen zu können, braucht es laut Prisching individuelle wie kollektive Strategien der (Selbst-)Täuschung. Doch auch hier keine platte Schelte: Solche Strategien habe es immer gegeben. Nur ihre Komplexität hat zugenommen. „Wir alle spielen. Wer es weiß, ist klug“, hieß es schon bei Schnitzler. Der Unterschied zu damals dürfte darin liegen, dass es heute viel mehr „Kluge“ gibt. Das erhöht den Aufwand für die je eigene Spielstrategie beträchtlich.

Das Selbst. Die Maske. Der Bluff

Über die Inszenierung der eigenen Person

Von Manfred Prisching

Molden 2009, 220 S., geb., e 19,95

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