"Leute verbal sterben lassen"

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Zuletzte befasste sich auch die Bundesregierung mit der Zunahme von Hass-Pos tings: Es sollen bestehende Meldestellen dazu ausgebaut werden. Fremdenfeindliche bis rechtsextremitische Äußerungen stellen ein großes Problem dar. Der grüne Nationalratsabgeordnete Karl Öllinger setzt sich seit Jahren mit einschlägiger verbaler Gewalt im Netz auseinander.

DIE FURCHE: Wie erklären Sie sich, dass einige Poster im Internet dermaßen auf Ideologien wie z. B. Fremdenfeindlichkeit abfahren?

Karl Öllinger: Bei Facebook liegt es in der Natur der entpersonalisierten Kommunikation. Ein Gegenbeispiel dazu sind Freiheitliche wie früher Jörg Haider, die jedem die Hand schütteln und "Servas du" sagen. Als ich 1994 ins Parlament kam, erlebte ich es wie Fernsehen 2.0, also interaktives Fernsehen, bei dem ich plötzlich dabei bin. Ich war perplex, wie passiv die Vertreter der Parteien auf Jörg Haiders Reden reagierten. Alle zogen den Schädel ein. Ich versuchte, ihm politisch Paroli zu bieten. Haider war, solche Differenzen völlig ignorierend, einer, der auf dich zugekommen ist. Sofortige Vereinnahmung folgte, die eine Vertrautheit und Beißhemmung schafft, die beabsichtigt ist. In den sozialen Netzwerken hat man nichts Persönliches.

DIE FURCHE: Entpersonalisierung betrifft aber alle Internet-User.

Öllinger: Sie bringt die schlechtesten Saiten eines Menschen zum Schwingen. Ein Beispiel: Auf einer Hetzseite im blauen Umfeld stellte einer ein Foto hinein, auf dem man drei dunkelhäutige Menschen sieht, wie sie das halbe Skelett eines Hundes am Grill verbrennen. Dieses Foto fetzte unglaublich. Die Seite hatte im Nu tausende Follower, und es gab hunderte Kommentare. Die meisten davon klangen so: Hängt sie auf, schickt sie nach Mauthausen, Auschwitz oder Dachau, verbrennt sie -unvorstellbar!

DIE FURCHE: Wie würden Sie einen typischen Neonazi oder Rechtsextremen im Internet beschreiben?

Öllinger: Die meisten von denen sehen sich überhaupt nicht als Rechtsextreme. Die würden irgendeinen Zusammenhang, selbst dann, wenn sie einen Menschen nach Mauthausen oder Auschwitz wünschen, abstreiten. In den sozialen Netzwerken -das sind virtuelle Nazis. Demokratiepolitisch gesehen ist es das größte Problem: Die bewegen sich bereits völlig in einem virtuellen Umfeld. Sie bekommen keine realen Nachrichten mehr mit und wollen auch keine zur Kenntnis nehmen. Ein Schlüsselerlebnis für mich war, wobei ich schon wusste, dass viele Leute nur von Verschwörungsseiten leben, dass ich etwas zum Syrienkrieg postete, über eine eingekesselte Stadt, in der Menschen verdursten und verhungern. Dann schreibt mir eine Frau, sie glaubt das nicht, mit der Stadt. Dann schrieb ich zurück, dass diese Meldung international bestätigt wird. Sie blieb bei ihrer Meinung. Ich musste aufgeben.

DIE FURCHE: Klingt nach Selbstschutz.

Öllinger: Demokratiepolitisch gesehen, ist das heftig. Ich schätze das Potenzial von Leuten, die für normale Kommunikation nicht mehr erreichbar sind, auf eine halbe bis eine Million Menschen in Österreich. Das ist jetzt eine wilde Schätzung, gebe ich zu, aber aus den sozialen Netzwerken und aus meinen Wahrnehmungen heraus, stimmt das.

DIE FURCHE: Die Frage ist, warum die Poster diese virtuellen Vorgänge so stark brauchen?

Öllinger: Das ist kein bewusster oder unbewusster Prozess, sondern viele Leute schlittern in diesen Vorgang hinein und es existieren genügend Mechanismen, durch die sie immer tiefer hinein kommen. Wenn du damit anfängst, dass du dich nachrichtenmäßig nur noch über Verschwörungs-Seiten, über FPÖ-TV oder unzensuriert.at informierst, wird es schwierig. Unzensuriert. at ist eine der 50 meistgelesenen Internetseiten im deutschsprachigen Raum.

DIE FURCHE: Der vor kurzem verstorbene ungarische Literaturnobelpreisträger Imre Kértesz meinte einmal, der heutige Antisemit brauche nicht mehr "den Juden", sondern es gehe ihm um die Macht über Leben und Tod von bestimmten Gruppen. Auch in vielen Hass-Postings geht es oft um Tod.

Öllinger: Dieses virtuelle Spiel, die Faszination geht darum, zumindest verbal Leute sterben zu lassen. Dieses Phänomen hat erschreckend zugenommen und darf sich öffentlich manifestieren. Ich bin für gesellschaftliche Ächtung dieser Ideen.

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