Vermeintlich getarnte Bösartigkeit

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Die Flut von Hasspostings ist Ausdruck mangelnden Problembewusstseins. Eine rechtliche Grauzone erschwert klare Lösungen.

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Die Flut von Hasspostings ist Ausdruck mangelnden Problembewusstseins. Eine rechtliche Grauzone erschwert klare Lösungen.

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Ein Online-Artikel zur Flüchtlingsthematik - darunter seitenlang hetzerische Leser-Postings. Was sich bislang vor allem im Internet abspielte, ist 2015 in neue Lebensbereiche eingedrungen: In Graz wurde eine Supermarkt-Angestellte entlassen, weil sie im Netz gegen Flüchtlinge gehetzt hatte, in Wels wurde aus demselben Grund einem KFZ-Lehrling gekündigt. Die steirische FPÖ wie auch die oberösterreichische ÖVP mussten wegen untragbarer Hasspostings gar Mitglieder aus der Partei ausschließen. Selbst Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz in Salzburg schlagen sich mit einer bisher ungekannten Vielzahl von Hasspostings herum. Einschlägige Nachrichtenportale und als Satire getarnte Foren erleben seit dem Vorjahr einen Aufschwung, wie etwa die Zugriffsstatistiken von unzensuriert.at oder pi-news.net ("pi" für "politically incorrect") zeigen.

Politischer Handlungsbedarf bestand hier schon länger - mit 1. Jänner trat die überarbeitete Version des Verhetzungsparagraphen in Kraft. Demnach wurde die strafbare Grenze der erreichten Leser oder Hörer von 150 auf 30 Personen runtergesetzt, es drohen Haftstrafen von bis zu zwei bzw. drei Jahren. Der Grüne Justizsprecher Albert Steinhauser vermisst einen wichtigen Punkt: Hasstiraden in Foren oder Social Media seien weiter nicht erfasst - bei Beschimpfungen werde die Verurteilung nochunwahrscheinlicher.Künftigmuss vom Richter nachgewiesen werden, dass hinter einer Äußerung eine diffamierende Absicht steckt. Steinhauser vermutet hinter dieser Entschärfung das Ziel, die Justiz zu entlasten.

Doch wo ist die Grenze zum Hassposting zu ziehen?"Immer dort, wo sich jemand angegriffen fühlt, wo freie Meinung zur aggressiven Äußerung wird und die Freiheit anderer einschränkt", meint Psychologe und Social-Media-Experte Christoph Augner. Dabei gehe es bei Hasspostings nicht so sehr darum, ein Opfer persönlich zu treffen, sondern eher darum, eigene Impulse auf andere Bereiche zu verschieben.

Die versteckten Seitenhiebe

Einen heiklen Graubereich schaffen vor allem versteckte Hassbotschaften wie die Aussage "Er ist Afrikaner, aber tüchtig." Auch das Gegenüberstellen von Wir- und Ihr-Gruppen oder das Konstruieren eines Handlungszwanges - "Wir müssen uns jetzt wehren!" - ist laut der Amadeu-Antonio-Stiftung für Zivilgesellschaft ein Merkmal für Hassrede. Augner erkennt in diesem Phänomen vor allem ein Bildungsproblem: "Obwohl die Internet-Welt für Jugendliche so wichtig ist, spielt sie in der Schule noch immer eine zu geringe Rolle."

Im Netz gibt es viele Grauzonen - etwa, ob ein nachgestellter Smiley eine Aussage entkräftet, ob ein "Gefällt mir"-Klick auf Facebook strafbar ist oder wie sehr sich das Teilen eines Beitrags vom Verfassen der Meldung unterscheidet? Ein großes Problem stellt die vermeintliche Anonymität dar: "Bei einer Klarnamen-Pflicht würden sich die Leute mehr überlegen, was sie sagen, so wie im echten Gespräch", meint Augner.

Der Kurznachrichtendienst Twitter schreibt nun bei Verstößen eine Verifizierung von E-Mail-Adresse und Telefonnummer vor und fordert Nutzer zur Löschung der Tweets auf - ansonsten droht eine Sperrung des Benutzerkontos. Politischer Druck aus Deutschland zwang auch Facebook zum Handeln. Bislang meinte man dort, es sei wichtiger, Hasspostern zu widersprechen, als ihre Postings zu löschen. Nun sollen hetzerische Postings binnen 24 Stunden gelöscht werden. Die Grenze des Akzeptablen werden die diversen Plattformen wohl weiter schärfen müssen.

Nicht anonym

Wer online hetzt, fühlt sich oft unbeobachtet: Um ganze 30 Prozent ist die Anzahl der Hasspostings im Vorjahr gestiegen. Nun hat die Justiz mit dem neuen Verhetzungsparagraphen reagiert. Wie gut dieser greift, wird sich erst herausstellen.

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