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MILLENARIUS, EVANGELIST MATTHÄUS

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VERE HICCE M1LLENARIUS CODEX EST. — „Dies ist ein wahrhaft tausendjähriger Codex”, rief der päpstliche Nuntius am Wiener Hof, Giuseppe Garampi, aus (ehemals Präfekt des Vatikanischen Archivs), der 1777 zur Tausendjahrfeier in Krems- münster weilte, als ihm dieser kostbare Schatz des Stiftes gezeigt wurde. Seit diesem Ausruf wird jener älteste Codex Kremsmünsters einfach „Millenarius” genannt, ob- wöhl er doch inzwischen fast 200 Jahre älter geworden ist. Neben dem Tassilokelch und den Tassiloleuchtern gehört der „Millenarius” zu den bedeutendsten Schätzen dieses Klosters. Alljährlich wird er noch einmal benützt: am „Stiftertag” des Klosters also am Todestag des Stifters Herzog Tassilo von Bayern (11. Dezember), liest beim Pontifikalrequiem der Diakon daraus das Evangelium. Über diese wertvolle Reliquie kam nun als Band 6 der „Forschungen zur Geschickte Oberösterreichs” ein mit höchster wissenschaftlicher Akribie gearbeiteter Forschungsbericht von Willibrord Neumüller OSB und Kurt Holter heraus, der der österreichischen historischen und kunsthistorischen Forschung Österreichs alle Ehre macht. (Der Codex Millenarius, 1. Teil: Der Codex Millenariums als Denkmal einer bayrisch-österreichischen Vulgata- Rezension. II. Teil: Der Codex Millenarius im Rahmen der Mondseer und Salzburger Buchmalerei. Verlag Hermann Böhlau, Graz. 195 Seiten, 75 Abbildungen.) Das Ergebnis der Forschungen beider Gelehrter sagt aus: Der Millenarius entstand um ungefähr 800, wahrscheinlich in Kremsmünster selbst. Der Text ist der einer Vulgata mit starker Beimischung der Vetus Latina (der vorhieronymischen Bibelübersetzung). Die paläo- graphischen und künstlerischen Analysen ergeben, daß er der Monseer Schreibschule angehört, wodurch zur Gewißheit wird, daß Kremsmünster von Mondsee aus gegründet wurde. Aus dem Fehlen irischer Merkmale ergibt sich ferner, daß die ersten Mönche Kremsmünsters keine Iren waren, noch zu einer irischen Observanz gekörten, auch keine reinen Benediktiner waren, sondern einer regula mixta folgten. Der Buchschmuck weist italienische Einflüsse auf, was eine Missionierung aus dem Süden wahrscheinlich macht. Das Vorhandensein des Codex, der vor dem Awarensturm entstand, ist außerdem ein Beweis, daß die Feier der Liturgie in Kremsmünster zur Zeit des Awarensturms nickt Hterbrochen wurde, ähnlich wie es diesem Kloster ja auch gelang, während der NS-Zeit, da das Stift aufgehoben war, durch die wenigen zur Verrichtung der Seelsorge verbliebenen Mönche die Feier der Liturgie weiter zu feiern. Neben der wissenschaftlichen Leistung muß auch noch ein Lob der Ausstattung des Werkes gezollt werden. Diese ist wie die Forschung in jeder Beziehung musterhaft und gewährt einen tiefen Einblick in die Schrift und die Bilder des „Millenarius”.

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