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Analyse der morsdien Welt

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Die Salzburger Osterfestspiele sind aus dem österreichischen Musikleben kaum noch wegzudenken: Ihr Initiator und künstlerischer Leiter Herbertvon Karajan gestaltete auch die diesjährige Premiere, und zwar von Bichard Wagners „Siegfried“, des an szenischen und geschmacklichen Klippen reichen dritten Abends der Tetralogie, im Großen Festspielhaus zum imposanten musiktheatralischen Ereignis, das seinesgleichen sucht. Mehr denn je wirkt Karajans „Bing“-Konzeption in ihrer Sparsamkeit zwingend, einheitlich, weise-beruhigt, ohne an Elastizität etwas eingebüßt zu haben. Die Vision vom bevorstehenden Untergang einer längst nicht mehr intakten, ja morschen Götter- und Heldenwelt und ihrer Sehnsucht nach Erlösung, nach dem Nirwana, füllt er mit beklemmender Dichte

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Die Salzburger Osterfestspiele sind aus dem österreichischen Musikleben kaum noch wegzudenken: Ihr Initiator und künstlerischer Leiter Herbertvon Karajan gestaltete auch die diesjährige Premiere, und zwar von Bichard Wagners „Siegfried“, des an szenischen und geschmacklichen Klippen reichen dritten Abends der Tetralogie, im Großen Festspielhaus zum imposanten musiktheatralischen Ereignis, das seinesgleichen sucht. Mehr denn je wirkt Karajans „Bing“-Konzeption in ihrer Sparsamkeit zwingend, einheitlich, weise-beruhigt, ohne an Elastizität etwas eingebüßt zu haben. Die Vision vom bevorstehenden Untergang einer längst nicht mehr intakten, ja morschen Götter- und Heldenwelt und ihrer Sehnsucht nach Erlösung, nach dem Nirwana, füllt er mit beklemmender Dichte

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Der Bruch, der durch Walhalls.wird zum geistesgeschiehtlichen Ereignis. Karajan hat mit seinem Ensemble minuziöse Arbeit geleistet, in der gegen früher vor allem das Analysieren psychologischer Momente und eine zunehmende Poetisierung im Stimmungsgehalt auffallen: Klare szenische Konturen, kunstvolle Dialogregie, im ganzen geistig statisch, aber in der Nuancierung der Details ungemein kontrastgeladen, zeichnen den ersten und dritten Akt aus. Das Kernstück, der zweite, ist dagegen randvoll mit bewegter Lyrik und Handlungsdramatik. Unterm riesigen Eschenästerund, durch das mildes Sonnenlicht strömt, breitet er behutsam idyllisches Waldweben aus. Und der Kampf mit dem Drachen wird auch optisch zur Sensation. — -Günther Schneider-Siemssen hat dafür wohl eines der faszinierendsten Bühnenbilder geschaffen: Ein Mcht-umsponnenes Waldrund, das sich im Breitformat imponierend weitet. Unterm Ästekranz das mit Strünken und Wurzelwerk verknotete Bodenloch, aus dem schleimig, qualliges Ungetüm quillt und bei jeder Bewegung den Waldboden beben und zittern läßt.

Georges Wakhewitsch' Kostüme wirkten schlicht, zweckentsprechend. Die Sänger: Jess Thomas ist Siegfried; ein ungestümer, blonder Junge, der stimmlich erst Im zweiten Akt wirklich in seine Aufgabe fand. Dann allerdings um so überzeugender. Helga Dernesch, Karajans Entdeckung als Brünhilde, verfügt zwar noch nicht über Stdmm-volumen und Monumentalität ihrer New Yorker „Met“-Rivalin Birgit Nilsson, aber ihr Timbre ist etwas weicher, vieles wirkt fraulicher, geschmeidiger: Sie ist weniger große Heroine denn Verlassene, die ins Glück zu finden glaubt. Was Karajans Konzept genau entspricht.

Meisterhaft die Darstellung des Zwergenpaares: Gerhard Stolze, ein lauernd-kriecherischer Mime, Zoltan Kelemen, als Alberich herrschsüchtig-gewalttätig. Beide waren stimmlich hervorragend disponiert, präsentierten brillant pointierte Leistungen als irrlichternde Bösewichte. Thomas Stewart suggeriert die resignierende Gottheit Wotan ergreifend. Oralia Dominguez (Erda), Reri Grist (Waldvogel) boten Beachtliches. Ebenso Karl Ridderbusch als Fafner. Sonderlob gebührt den Berliner Philharmonikern: Karajan führte sie mit stupender Akkuratesse. Welche Farben im Blech, besonders in den Tuben im Piano, und welches dunkle Glühen in den Streichern. Stellenweise boten sie Kammermusik von erlesener Qualität.

Im ganzen: ein Fest, an dessen Ende das Publikum vor Begeisterung raste.

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