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Tragödie der Freiheit

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Als Slawomir Mrozek seinen „Tango" schrieb, war die Formulierung „Anything goes" (Paul Feyerabend) noch nicht gefunden. Die Kulturrevolution der „drei M" (Marx, Mao, Marcuse) war gerade im Anlaufen. Als die Urauf führung in Warschau unter der Regie Erwin Axers stattfand wurde das Stück vor allem auf die „Roaring Twenties" und ihre Vorgeschichte bezogen: den Anarchismus von Turgenjews „Väter und Söhne", auf Bakunin und Kropotkin, auf die Decadence des „Fin de siecle", auf die revolutionären Aggressionen des Expressionismus. Ihnen folgten im Westen Hitler, im Osten Lenin und Stalin. Der Zweite Weltkrieg mit 55 Millio nen Toten war die Bilanz.

Mrozek hatte bereits Anfang der sechziger Jahre den Instinkt für eine neuerlich kommende Gefahr - die jedoch (bisher) noch nicht zur vollen Katastrophe geführt hat. Im Gegenteil, nach den ersten bedrohlichen Ausbrüchen des Irrationalismus (Paris, Berlin 1968) gewann wieder die Bationalität an Kraft, Karl Popper überwand gleichsam Marx, Mao und Marcuse. Der Krakauer Dramatiker des „Theaters des Absurden", Slawomir Mrozek, kann von sich sagen: „Ich habe durch meine Warnung mitgeholfen." Denn so aufregend, so analytisch treffend und derart theatralisch wirksam wie er hat kein anderer auf kommende Schrecken hingewiesen. Zwar gibt es heute immer noch in bestürzender Hartnäckigkeit die Phrasen einer individuellen Freiheit, die alle Grenzen überschreiten soll, der totalen Enthemmung des einzelnen zur Verwirklichung seiner Träume und Wünsche, der ewigen vitalen Bevolution zu „neuem Leben" und Fortschritt, jedenfalls zur Aufhebung jeglicher einengenden Moral.

Noch lange nicht sind alle phantastischen Illusionisten zur Vernunft gekommen. Doch weder das totale Chaos noch ein neuer Großdiktator welchen Namens immer (im Stück ist es der Kellner Edek) sind aufgetreten, um ein neues großes Gemetzel einzuleiten. Die Burgtheater-Inszenierung verblüfft durch das Phänomen, daß außerordentliche Qualität in der Literatur durch vergehende Zeit immer deutlicher wird: „Tango" hat vor 32 Jahren beigetragen, die Wahnsinnsgefahr zu erkennen und zu überwinden. Heute könnte er, vielleicht mehr noch als damals, die neuerlich drohenden Zeichen ins Licht - wenigstens ins grelle Lampenlicht - rücken.

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