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Der letzte Tourist

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Grenzübergang Loibl-paß, Hochsommer, strömender Regen. Ein einheimischer Tourist hält beim Grenzposten die Pässe aus dem Seitenfenster; neben ihm am Beifahrersitz eine aparte junge Frau.

Grenzposten: Wohin beabsichtigen Sie zu fahren?

Tourist: Ans Meer. Grenzposten: Zu welchem Zweck? Tourist: Na hören Sie! Urlaub machen.

Grenzposten: Urlaub? Schon wieder so einer. Da muß ich Sie leider bitten, auszusteigen und sich dort beim Grenzübergangsbeichtstuhl anzustel -len.

Grenzbeichtvater: Soso, Urlaub am Meer, Nichtstun, dolce vita, ungeniert Lohnnebenkosten boykottieren wollen, und dann wohl auch noch Zigaretten schmuggeln, billigen Benzin tanken, Chianti, Calamari ... Haben Sie noch nie etwas vom Urlaub im eigenen Land gehört?

Tourist: Ini eigenen Land? Hier herbstelt es doch schon seit Ende Juni. Es hochherbstelt, es novembert, mein Herr, da novembere ich nicht mit! Jeden Tag Regenschauer und Wolkenbrüche, ich habe schon seit drei Wochen keine Sonne gesehen. Seit zwei Wochen fahre ich mit der Autoheizung ...

Grenzbeichtvater: Daß die Kärntner immer so jammern müssen mit ihrem wettervertrottelten Wesen. Immer auf Sonnenschein aus, und wenn es regnet, verzweifelt und zu Tode betrübt! Wenn eines Tages ein Haufenwol-kenabsaugeflugzeug erfunden wird, dann garantiert von einem Kärntner! Schwimmen gehen kann man bei Regen auch, naß wird man sowieso. Als ob Kärnten nichts zu bieten hätte! Ökotourimus, Aktiverholung, Erlebniswelten, Eierschwammerl.

Tourist: Gehen S', ich bin zwölf Monate aktiv, da werd ich im dreizehnten nicht radifahren. Hören S' auf mit dem Herzinfarkttourismus ...

Grenzbeichtvater: Wir haben dann ja auch die Kurhäuser und Sanatorien. Und viel Natur un'd Kultur. Gartenzwergmuseen und Winnetous. In Pörtschach sind Helmut Lohner und Otto Schenk, in Velden Carl Spichs und Thomas Gottschalk.

Tourist: Die sind im Fernsehen auch.

Grenzbeichtvater: In Friesach der große Richard Höllerbauer ...

Tourist: Der ist nicht im Fernsehen.

Grenzbeichtvater: Aber in ganz Friesach grassiert die Höllerbauerma-nia. Günther Nenning arbeitet an einer Nazioperette. Sehen Sie, was Sie versäumen. Und überhaupt, die Berge und die Täler! Wo gibt es Berge und Täler am Meer? Und dann die vielen freundlichen Menschen ...

Tourist: Die Kärntner sind keine freundlichen Menschen. Ich bin selbst einer, und ich bin auch unfreundlich, ich muß das wissen. Immer, ”wenn mich ein Deutscher fragt, wo es zum Minimundus geht, schicke ich ihn zum Flughafen. Jetzt fragt freilich kaum noch einer. Und wo Berge sind, sind immer Täler, das ist keine Kunst.

Grenzbeichtvater: Es ist hier meine Aufgabe, Sie zum Nachdenken zu bewegen. Vielleicht ist es im Süden ja wirklich wärmer und sonniger und schöner, aber haben sie einmal an die heimische Wirtschaft gedacht? An die Pleiten und Konkurse? An die Hoteliers, die sich einer nach dem anderen in der Rezeption erhängen? Jetzt sitzt in jedem Kaff ein eigener Tourismusdirektor - vormals arbeitsloser Akademiker - und trotzdem haben wir ein Juniminus, ein Juliminus, das Augustminus ist auch schon absehbar. Wohin man schaut: Nächti-gungsminus, Umsatzeinbruch, Gästeschwund. Was sollen denn die ohne Touristen machen. Die können sich glatt umbringen. Eine Katastrophe! Hören Sie: Klopeinersee minus

11.7 Prozent, Krumpendorf-- zwölf, Maria Wörth - zehn, Velden minus

15.8 Prozent.

Tourist: Trotz Gottschalk? Grenzbeichtvater: Naja, an Roy Black kommt er nicht heran. Aber Roy Black bekommt jetzt postum eine Ehrenprofessur verliehen, ein Ehrendoktorat, eine Ehrenbürgermeisterschaft. Mein Onkel denkt an Roy-Black-Servietten und Roy-Black-Klopapier, falls der Ausgleich durchgeht. Nächstes Jahr soll Otto Schenk Roy Black spielen, übernächstes Höllerbauer! Und da wollen Sie nicht dabei sein?

Tourist (winkt den Beichtvater zu sich, flüstert): Wissen Sie, die Sache ist die: Die Frau da, die ich mitführe, ist nicht meine eigene: Aktivurlaub, verstehen Sie, Erlebnis-weit, ein bisserl easy living, einmal selber Roy Black sein! Und da wäre ein Urlaub bei Freunden doch wohl eher ...

Grenzbeichtvater: Verstehe! Diskretion! Dann liegt der Fall natürlich ganz anders! Also beten Sie ein „Mei Hamat ist a Schatzale”, und dann sind Sie entlassen. Gute Erholung, viel Erfolg!

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