Ukraine - © Foto: Foto: iStock/Miguel Vidal (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Dietmar Griesers Ukraine: Blau-gelbe Splitter der Geschichte

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Dietmar Grieser ergänzt in seinen Essays die aktuelle Berichterstattung über die Ukraine aus einem historisch-nostalgischen Blickwinkel.

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Dietmar Grieser ergänzt in seinen Essays die aktuelle Berichterstattung über die Ukraine aus einem historisch-nostalgischen Blickwinkel.

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Es erstaunt, in welch geringem Ausmaß in Österreich die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine vom Bewusstsein getragen wird, dass ein Kerngebiet des umkämpften Staates österreichisch war. Das liegt daran, dass das Kronland Galizien hieß, wo den Ton nicht die Ukrainer angaben, sondern die Polen, und dass die Ukrainer in Österreich als Ruthenen firmierten. Die galizische Hauptstadt Lemberg und die bukowinische Czernowitz überstrahlten zudem das ärmliche Umland, das kulturell wenig mitzureden hatte.

Dietmar Griesers schmales Bändchen „Geliebte Ukraine“ offenbart den Phantomschmerz schon im Titel, denn wer von den in ihm präsentierten Persönlichkeiten hat die Ukraine geliebt? Der Salzburger Rekrut Georg Trakl hielt der Fronterfahrung nicht Stand, kaum dass ihn der Erste Weltkrieg ins galizische Niemandsland verschlagen hatte; Leo Trotzkis Parteikarriere endete mit der Ermordung in Mexiko; der Sänger Joseph Schmidt verreckte im Schweizer Exil; Paul Celans Todfeind war der Meister aus Deutschland und der Rekordarbeiter Alexej Stachanow wurde zum Helden der Sowjetunion. Die Reformpädagogin Eugenie Schwarzwald machte Karriere in Wien, Leopold von Sacher-Masoch hinterließ der Nachwelt den Begriff des Masochismus, der „Rumpfmensch“ Nikolai Basilowitsch Kobelkoff überwand seine körperlichen Defizite abseits aller Nationalismen und Scholem Alejchem krönte mit „Tewje, der Milchmann“ die Apotheose des jüdischen Schtetls.

Der mittlerweile achtundachtzigjährige, aber immer noch umtriebige Autor ist den teils konservierten, teils verwehten Spuren schon zur Zeit des real existierenden Sozialismus nachgegangen, ebenso dann nach der Wende, was seinen sorgsam zusammengestellten Essays eine zusätzliche Aura verleiht. In seiner Einleitung und im abschließenden Interview mit der in Wien lebenden Opernsängerin Zoryana Kushpler stellt Dietmar Grieser die wie stets spannenden alten und neuen Essays in einen aktuellen Rahmen und ergänzt damit die aktuelle Berichterstattung über die Ukraine aus einem historisch-nostalgischen Blickwinkel.

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