Leben auf einem Vulkan

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In seinem jüngsten Roman "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" blickt der israelische Schriftsteller Amos Oz zurück: Zu den Wurzeln seiner Familie und seines Landes, zu den eigenen Wurzeln von Liebe und Hass.

Nur der schlechte Leser, so Amos Oz in seinem neuesten Roman, schiele voyeuristisch auf die Frage, wieweit der Autor über sein eigenes Leben erzähle, was wirklich passiert sei und was erfunden. Der gute Leser, der setze sich in den Text hinein und frage sich über sich selbst, gehe mit den Gestalten, die ihm begegnen, mit, auch in die geheimsten Verstecke des eigenen Ichs. Diese "Warnung" baut der Schriftsteller Amos Oz akkurat am Anfang jenes umfangreichen Romans ein, in dem er sein eigenes Leben nachzeichnet, das seiner Familie und seines Landes Israel.

Als Amos Klausner wurde er 1939 in Jerusalem geboren, seine Geschichte steht für die Geschichte vieler. Seine Eltern kommen aus Europa, Vater Jehuda Arie aus Odessa, Mutter Fania, geborene Mussman, aus Rowno. Sie hat in Prag Geschichte und Philosophie studiert, weil in Polen das für Juden unmöglich war. Beide leben aus der Welt der Bücher und in dieser wächst auch der kleine Amos auf. Sein Vater, das Sprachengenie, schafft es trotz Universitätsabschluss nur bis zum Bibliothekar, auch seine Mutter kann ihr Wissen kaum verwenden. Die Beziehung der Eltern hat etwas Beklemmendes, wie auch das Aufwachsen in diesem jungen gefährdeten Staat, schon bald von Krieg geprägt. Mit Amos Oz streift man durch die Gassen des Jerusalemer Viertels Kerem Avraham, nimmt man Farben und Gerüche wahr und besucht den späteren Nobelpreisträger S. J. Agnon. Die Personen sind mit Witz und viel Liebe geschildert, ob es nun die vom Mikrobenwahn befallene Großmutter ist oder der in Litauen geborene Onkel Joseph Klausner, Literaturprofessor in Jerusalem, der der hebräischen Sprache Wörter schenkt.

Alle diese Eingewanderten zeichnet die Angst, was noch kommen wird, dann die trügerische Sicherheit, hier wird uns nichts passieren, und der Vorsatz, die eigene Ehre nie wieder mit Füßen treten zu lassen und den doppelt zu schlagen, der sie je wieder schlagen sollte. Die mehrsprachig aufgewachsenen, hoch gebildeten Europäer müssen in einem ihnen völlig fremden Land Heimat bauen. Sie sitzen abends während der britischen Ausgangsperre in ihren Häusern über ihren Büchern, dem einzigen Tor nach Europa. Die Erzählung vom Leben der Juden im neuen Staat verschränkt Oz mit dem immer beklemmender werdenden Zustand der Mutter, der 1952 zum Selbstmord führt. Das Schweigen darüber hält noch 20 Jahre nach ihrem Tod zwischen Vater und Sohn an. Letzterer, als Kind schon ein kleiner Erwachsener, nationalistisch, geblendet und vereinnahmt vom Schwarz-Weiß-Denken seiner Umgebung, zieht als Teenager in einen Kibbutz und "ermordet" seinen Vater und die Familie, indem er einen neuen Namen annimmt: Oz (Kraft).

Amos Oz, der den Rückzug der Israelis aus den besetzten Gebieten fordert, findet Bilder aus der eigenen Kindheit, um die israelische Unheilsgeschichte zu verdeutlichen, erzählt humorvoll und rührend, bindet Geschichten, Literatur und Traditionen ein. "Alles, was etwas galt, bestand aus Worten", so Amos Oz über seine Kindheit. Ein Roman, der einerseits fesselnd Geschichte vom alten Europa bis zum neuen Israel erzählt, aber auch den (guten, siehe oben) Leser zurückwirft auf die Frage nach dem je eigenen Umgang mit Nationalismus, Schwarz-Weiß-Denken, Kultur, Heimat, Sprache und Schweigen.

Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Roman von Amos Oz, Aus d. Hebr. v. Ruth Achlama, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2004, 764 Seiten, geb., e 27,60

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