Tiefenstruktur einer Geschichte

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"Allein das Meer": ein ungewöhnlicher Roman des israelischen Schriftstellers Amos Oz über Leben, Lieben und Sterben.

Für einige galt der "linke" Amos Oz, der die israelische Friedensbewegung mitbegründet hatte, als der gute Mensch von Israel, von dem es literarisch nicht mehr viel zu erwarten gab, wie es ein Kritiker der Welt formuliert hatte. Dass dem nicht so ist, zeigt der neue Roman.

Oz wählte über weite Strecken des Buches die Gedichtform und erzählt anhand einiger Menschen das ganze Leben von der Geburt bis zum Tod, mit Hoffnungen, Illusionen und Liebe, mit dem unvermeidlichen Tod und dem, was danach bleiben wird.

Die ersten fünf Seiten überraschen und lassen eine Unsicherheit aufkeimen, denn der Weg, den Oz ausgesteckt hat, ist steil, gefährlich und bei den Stufen und Absätzen muss der Leser trittsicher sein. Wer achtsam wandert zwischen den Zeilen, wird Satzzeichen finden, bekannte Worte und Wendungen, aber auch schwer zu entschlüsselnde Bilder. Die Erzählpositionen wechseln wie Wolkenstimmungen, schlagen um und so muss der Leser natürlich auch mit der unverständlichen Finsternis rechnen, wo nur ein Mutmaßen bleibt über die Absichten.

Wofür mögen die Bilder nun tatsächlich stehen? Wer hat den Schlüssel für den Schneemenschen, die Schildkröte, die König-David-Paraphrase und das Bild vom Strick und dem Eimer? Die ungewohnte Form ist nicht bloß ein poetischer Einstieg in die Geschichte, ein Vorwort, sondern wie eine Markierung und manche Abschnitte, Kapitel sind bloß vier oder zehn Zeilen lang. Ein Wagnis mit Überschrift. Die Konsequenz eines in unserer Gesellschaft wenig praktizierten Innehaltens. "Wenn du manchmal aufhörtest zu sprechen, sagte meine Lehrerin Zelda zu mir, als ich ungefähr sieben war, dann könnten dir die Dinge manchmal antworten, vielleicht." Und dies betrifft nicht nur die Dinge sondern auch die Menschen und die tun sich damit ebenso schwer.

Wer sind aber nun die "zufälligen" Menschen des Romans? Da ist der Buchhalter Albert Danon, der nach dem Tod seiner Frau Nadia allein zurückbleibt, unsicher und dem nur die Fürsorge bleibt, um Brücken zu bauen zum Beispiel zu Dita, der Freundin seines Sohnes Rico, der trotz des Todes seiner Mutter nach Tibet gefahren ist und dort eine Suche begonnen hat. Ist es der Sinn des Lebens, ist es er selbst, dazwischen jedenfalls liegt das Ziel. Der Vater kümmert sich um Dita, die ein Drehbuch geschrieben hat und den Versprechungen eines Dubi Dombrov aufgesessen ist und ihm Geld für die Realisierung ihrer künstlerischen Pläne überlassen hat. Der Buchhalter bringt ihr das Geld zurück und gibt ihr Sicherheit, oder auch mehr? Rico schreibt Karten und Briefe aus Tibet, lernt in der Ferne die Portugiesin Maria kennen, eine Dirne, die einmal eine Nonne war. Bettine, eine Arbeitskollegin von Albert, versucht sich ihm zu nähern. Sie ist seit Jahren Witwe, sie hat den Griechen Stavros Evangelides aufgesucht, der einen Kontakt mit den Toten herstellen kann und vielleicht so für einen persönlichen Frieden sorgt. Alle leben in Bat Jam, einer kleinen Stadt am Mittelmeer, in der Nähe von Tel Aviv. Obwohl Alberts in Bulgarien geborene Frau Nadia schon am Beginn des Romans an ihrem Gebärmutterkrebs gestorben ist, sind ihre Erinnerungen noch lebendig und sie geistert durch die Geschichte, durchaus real, denn bei Oz ist Raum (Tibet oder Israel) und Zeit aufgehoben. Ein Dichter kann das und kann sich auch in die Geschichte einmischen und wenn es ihm passt, zum Beispiel mit all seinen Figuren im Garten arbeiten.

Schwierig ist es, die Geschichte in ihrer Vieldeutigkeit zu erzählen. Denn sie besteht aus Andeutungen, aus Denk-Sätzen, die nicht die Welt erklären, aber das Zwischen-Menschliche ausloten. "Was soll ich Ihnen sagen, mein Herr, der Mensch ist ein Rätsel, auch derjenige, den man am besten zu kennen glaubt. Man schläft fünfunddreißig Jahre lang im selben Bett, kennt jedes einzelne Haar aus seinem Kopf, seine Krankheiten, seine Geheimnisse, seine Probleme, seine intimsten Dinge, und dann plötzlich stellt sich heraus ..."

Am Tod reiben sich alle, nicht nur die Figuren, wenn ihn auch nicht alle wahrhaben wollen, vor allem der Autor. Denn was bleibt von einem Menschen? Und was hat Dauer: Die Berge, das Meer, und die Wüste sicherlich. ("Was werde ich sein, im Tod? Ein Klang oder ein Duft, / womöglich weder noch ...") Neben den lebenden Menschen und den Toten bevölkern Symbole die Geschichte, der Schneemensch im Tibet, als der Einsamste unter den Einsamen, Schildkröten, König David, Vögel, die "narimi rufen" und die fast personifizierte Natur ("Die Bergkette sieht aus wie eine Frau, / voll Kraft und heiter schläft sie auf der Seite nach der Liebesnacht."), schneebedeckte Hänge und das Meer. Doch der Dichter würde nicht Oz heißen, würde nicht auch in kurzen präzisen Wendungen die Realität Israels plötzlich im Türrahmen stehen, wie ein unvermuteter Gast, drohend und mahnend.

"Allein das Meer" ist ein ungewöhnliches Experiment und der Autor hat in einem Interview mit der Zeitschrift "Volltext" gemeint, er fühle sich wie eine Kuh, die eine Möwe geboren hat. Es ist der Versuch, die Tiefenstruktur einer Geschichte zu schreiben und das lyrische Unterfutter nach außen zu kehren. Es ist keine Welterklärung, sondern ein seitenweises Ansetzen zu einem Trotzdem im Leben. "Dieser Roman ist Resultat eines metapolitischen Friedensprozesses mit mir selbst und zwischen den Charakteren", so Amos Oz in einem Interview.

Dass der Roman gegen Ende etwas versandet, ändert an seiner Wirkung nur wenig, vielleicht ist das die Entsprechung auf das Verschwinden einer Welle.

Allein das Meer

Roman von Amos Oz. Aus dem Englischen von Frank Heibert

Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002, 191 Seiten, geb., e 20,50

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