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Nonos Provokation

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Der italienische Neutöner Luigi Nono wurde von dem argentinischen Komponisten Alberto Ginastera, einem sehr aktiven Katholiken, in das „Lateinamerikanische Zentrum für hohe Musikstudien” des Instituto Di Telia nach Buenos Aires eingeladen. Sein Programm war gewiß erstaunlich. In das Werk ,,Der Wald ist jung und voller Leben” für Tonband, Klarinette und Stimmen ist der Plan der „Escalation” des nordamerikanischen Kriegsministeriums nach Veröffentlichung der Zeitschrift „Fortune” eingearbeitet. „Die illuminierte Fabrik” gibt Originalgeräusche der Fabrik Italsider wider. „Erinnere Dich, was Dir in Auschwitz geschah” ist der Titel für die Bühnenmusik, die Piscator für die Berliner Aufführung von Peter Weiß: „Die Untersuchung” bestellt hatte. Das große „Teatro Colön” wollte während des Besuches von Nono seine „Variantes” im Konzertprogramm geben. Nono zog es aus Solidarität zurück, als die Stadtverwaltung von Buenos Aires die Oper „Bomarzo” seines Gastgebers Alberto Ginasitera vom Spielplan des „Colön” strich.

Soweit Luigi Nono die grauenhafte Erinnerung von gestern, die KZ, den Alpdruck von heute, die Bombardements gegen Nordvietruam, oder die Sorge für morgen, den Konflikt zwischen dem Arbeiter und der Maschine, in neuen experimentellen Formen der Musik zu einem Kunstwerk zu steigern unternahm, fand er auch in Lateinamerika den Respekt, den ein prominenter ausländischer Gast beanspruchen darf.

Aber Luigi Nono trat nicht nur als schöpferischer Musiker, sondern auch als extremistischer Politiker in Erscheinung. Er erklärte der argentinischen Presse, er sei vor allem fanatischer Kommunist und widme das erste in Buenos Aires aufgeführte Werk den Vietkong. In einem Interview für die castroistische Montevideaner Wochenschrift „Marcha” sagte er: „Die Kultur muß völlig mit dem Leben von heute verbunden sein — auch im Zusammenhang mit dem Befreiungskampf der Völker, vor allem der III. Welt — Ich glaube, daß auch die Menschen als solche an diesem Kampf teilnehmen müssen, ob sie Musik komponieren oder offen — z. B. in Südamerika — kämpfen, es sind nur verschiedene Momente des Lebens, des Musikers und des ganzen Menschen. Ich glaube, daß Lateinamerika — wie Vietnam und Afrika — Schicksalsstunden der Geschichte durchmacht. Ich glaube z. B., daß das wichtigste kulturelle Moment in Bolivien von Che Guevara repräsentiert wird.”

Obwohl in Argentinien gleichzeitig ein „Gesetz zur Verteidigung gegen den Kommunismus” erlassen wurde, dessen Auswirkungen abzuwarten bleiben, ließ man Nono in Buenot Aires unbehelligt spielen, reden und abreisen.

Er fuhr dann nach Lima weiter, wo ihn die älteste, bedeutendste und radikalste Universität Lateinamerikas, die „Universidad Mayor de San Marco” eingeladen hatte. Als er seine erste Vorlesung „der Erinnerung an die peruanischen Guerillas, die von der Nationalgarde massakriert wurden” widmete, setzte die politische Polizei ihn und seine Familie — Frau und zwei Kinder — in das nächste Flugzeug nach Mexiko.

Die Wechselwirkung zwischen Politik und Kunst gehört zu den meistdiskutierten Themen der Kulturgeschichte. Wenn das Werk so groß ist, daß es seine Herkunft vergessen läßt, oder der politische Vorgang ohne aktuelle Bedeutung bleibt, gewinnt die Kultur das Rennen. Niemand wird Shaws „Heilige Johanna” als Gefahr brandmarken. In welchem Grade das Kunstwerk ohne Rücksicht auf die politische Gesinnung des Autors geschätzt wird, zeigt der Siegeszug Bert Brechts über die Bühnen der ganzen westlichen Welt. In allen diesen Fällen geht es nur um die. Wirkung des Werkes.

Der „Fall Luigi Nono” liegt anders. Er mißbraucht die Achtung, die seiner schöpferischen Persönlichkeit als Musiker entgegengebracht wird, zu primitivster revolutionärer Propaganda. Sein Kreuzzug gilt nicht der modernen Musik, sondern der Pekinger Religion. Die Freischärler, die Nono prophetisch fixiert, bedrohen die westliche Ordnung des Kontinents. So müssen sich die lateinamerikanischen Regierungen gegen den castroistischen Agitator Luigi Nono zur Wehr setzen, nicht weil, sondern obwohl er als Schöpfer neuer Musikformen einen großen Beitrag zur Weltkultur leisten mag.

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