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Musik gegen den Text

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In ihrem großen Saal veranstaltete die Wiener Konzerthausgesellschaft gemeinsam mit dem ORF einen Abend, an dem, unter der Leitung Michael Gielerts, zwei Werke für großes Orchester und Solisten von Luigi Nono (Jahrgang 1924) zum erstenmal in Wien gespielt wurden. „Ein Gespenst geht um in der Welt“ wurde 1970 geschrieben und im Jahr darauf in Köln uraufgeführt. „Wie eine Woge von Kraift und Licht“ entstand ein Jahr später und erklang 1972 im Teatro alla Scala zum erstenmal. — Die erste Kantate, Angela Davies und ihren Freunden gewidmet, ist für Sopransolo, gemischten Chor und Orchester gesetzt. Den Text hat sich Nono aus der „Internationale“, der „Roten Fahne“ (in italienischer Sprache), dem Gedicht „Der 26. Juli“ (kubanisch) und „Der Osten ist rot“ (chinesisch) zusammengebastelt.

Glücklicherweise benützt er diese Texte nur als phonetisch-semantisches Material, und würde dieses Konzert wiederholt oder im Rundfunk übertragen, so möchte man den Hörern raten: „Legen Sie das Programm beiseite, hören sie nicht auf die Textkommentare und Analysen, schenken Sie auch dem Titel keine Bedeutung, sondern hören Sie 25 Minuten Musik von Nono. Denn diese stammt von einem der sensibelsten, eigenwilligsten und talentiertesten Komponisten seiner Generation“ — Ein schwer zu beschreibender Zauber geht von diesen aneinandengereihten, so ganz und gar nicht marschmäßig-aggressiven Klanggebilden aus, es gibt zarte A-cappella-Stellen und berückend schöne Soli. (Ausführende war die zum Freundeskreis Nono-Abbado-Pollini gehörende Slavka Taskova. Sie hat ihre schwierige Sopranpartie mit großer Einfühlung und eminentem technischen Können gemeistert.) Aber am meisten gefiel und imponierte immer wieder der vorbildlich studierte und unglaublich präzise singea^,;C)^SMHj.

Mit dem zweiten an diesem Abend aufgeführten Stück („Wie eine Woge aus Kraft und Licht“) tut man sich, zumindest beim ersten Hören, schwerer. Da ist zunächst die sehr komplizierte Kombination von Tonband (über Lautsprecher) und Live-.Spiel von Klavier, Singstimme und Orchester: alle abwechselnd entweder direkt oder aus dem Lautsprecher, oder miteinander gekoppeilt (simultan). Was den Text betrifft, so handelt es sich um eine Art Requiem für einen chilenischen Freund Nonos, den Leiter einer revolutionären Linksbewegung namens Luciano Cruz, der immer wieder in den Versen des argentinischen Dichters Julio Huasi vorkommt. Am Anfang aber stand zu diesem Werk ein Plan Pate, in Stück für Maurizio Pollini — Klavier und Orchester — zu schreiben. Hier, in diesem Klagegesang auf den verunglückten Freund — so möchte man meinen — sei der Text relevanter. Aber auch von ihm versteht man kaum etwas, zumal das Orchester sehr verstärkt ist (17 Blechbläser, zehn Kontrabässe, ein haiibes Dutzend Pauken, vielerlei anderes Schlagwerk sowie Unkontrollierbares, oder sagen wir: kaum zu Identifizierendes, das aus den Lautsprechern kommt). Dieses Stück mit dem Titel „Wie eine Woge von Kraft und Lacht“ dauert um fünf Minuten länger als das erste und ist um mindestens zehn Minuten zu lang.

Leider zeigt sich auch hier Nonos Schwäche im Hang zu einem gewissen Bruitismus. An das Amorphe seiner Kompositionsweise haben wir uns schon gewöhnt, in ihm liegt ja zum Teil auch ein Reiz. — Aber es gibt nichts Unsinnigeres, als Nonos Selbstinterpretationen. Wenn er zum Beispiel davon spricht, daß der ästhetische Konsuni seiner Musik auf der sozialen und ideologischen Einstellung der Zuhörer basiere, .genau wie bei denen, die die außergewöhnliche Schönheit der deutschen Sprache im Kommunistischen Manifest von. Marx und Engels genießen können, losgelöst von seiner Bedeutung, seiner Funktion, seiner historischen Perspektive“ usw... Solches lesend, sagen wir: „Dann also lieber Nono-Musik ohne Text.“ Der gleichen Meinung war 1960 auch der damals bereits mehr als 70 Jahre alte prominente Schweizer Musikkritiker Aloys Mooser, der nach Anhören des „Canto sospeso“ (nach Brieffragmenten von zum Tod Verurteilten an ihre Freunde und Hinterbliebenen) schrieb: „Dies ist das Verdienst Nonos, daß er sorgfältig aflile leichten und deklamatorischen Effekte meidet, zu der solche Texte verführen können. Daß er eine großartige Würde im Verlauf seiner ganzen Partitur bewahrt und diese dadurch zu den bewegendsten Meisterwerken dieser Jahre macht.“

Unter der in jeder Hinsicht souveränen Leitung Michael Gielens, penibel im Detail, affektvoll, wo die Musik es fordert, hatte man das beruhigende Gefühl einer wirkMch authentischen Wiedergabe dieser komplizierten Partituren beizuwohnen. — Der leider nur etwa zur Hälfte gefüllte Saal, vor allem die jüngeren Zuhörer, zeigten sich von Werk und Wiedergabe sichtlich beeindruckt.

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