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„Intolleranza“ in Köln

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Luigi Nonos erstes Opemwerk „Intolleranza“ provoziert, was es schon mit seinem Titel anklagt: Unduldsamkeit. Bei der venezianischen Uraufführung vor Jahresfrist („Die Furche“ hat damals darüber berichtet) gab es eine regelrechte Theaterschlacht mit Stinkbomben. Flugzetteln und Duellforderungen. Bei der deutschen Erstaufführung, die soeben im Kölner Opernhaus stattfand, mischten sich Pfiffe und Buhrufe in den starken Beifall, der schließlich die Oberhand gewann und die künstlerische Kraft des Werkes bestätigte. Dennoch darf man die beiden Protestaktionen nicht gleichsetzen, denn sie richteten sich jeweils gegen ein anderes Objekt: einmal gegen den Inhalt der Oper, das andere Mal gegen dessen künstlerische Verformung, gegen die Musik.

In Venedig wurde das Werk des prokommunistischer Neigungen verdächtigen Nono von einer Gruppe fanatischer Neo-faschisten niedergeschrien: Kein Wunder, daß die Opernhandlung — ein Emigrant erlebt die Schrecken eines Polizeistaates, gerät in ein Konzentrationslager, dann in die seelenlos funktionierende Maschinerie unseres bürokratisierten, „verwalteten“ Lebens, das die Atombombe zu beenden droht, und findet schließlich, in seine'Heimat zurückgekehrt, bei einer Überschwemmungskatastrophe den Tod — die italienischen Rechtsextremisten aus der Reserve lockte. Ebenso unzweifelhaft aber war gerade der ehrliche (wenn auch naiv gestaltete) Protest Nonos gegen jedwede Form der Diktatur, war sein Bekenntnis zur Humanität nicht das Objekt der Kölner Demonstrationen; Deutschland hat, da darf man wohl sicher sein, aus seiner jüngsten Vergangenheit die Lehre gezogen. Unbelehrt blieb dagegen die reaktionäre Kunstgesinnung des deutschen Publikums: Daraus erklärt sich, daß Nonos Musik — eine in der Technik avancierte, in der Präsentierung ungewohnte und im Ausdruck unerhört neue Musik — auf Widerspruch stieß. (Es muß jedoch vermerkt werden, daß schon die zweite Kölner Aufführung, von einem einzigen Pfeifer abgesehen, einhellige Zustimmung fand.)

Dennoch hatte der doppelte Protest auch sein Gutes. Er machte nämlich deutlich, daß die Oper Nonos aus zwei divergenten Teilen zusammengesetzt ist, die sich von „Natur“ aus nicht zu einer künstlerischen Einheit fügen wollen. Das Libretto, das sich Nono nach einer Idee von Angelo Maria R i p e 11 i n o selbst gezimmert und mit Zitaten von Sartre, Majakowski, Eluard und Brecht aufgeputzt hat, ist eine Mischung von Tollerschem Symboldrama und Brechtschem Lehrstück. Mit seiner antiindividuellen und plakativen Handlung ist es ein später Nachkömmling jenes politischen Expressionismus, der in Brecht-Weills „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ sein künstlerisch stärkstes Dokument besitzt.

Die Musik, die Luigi Nono zu seinem Operntext erfunden hat, besitzt nichts von politischem Schwung und von dieser Plakathaftigkeit. Sie ist ein subtiles Gewebe von ausdrucksgeladenen Klängen, sie erreicht durch Nonos Gabe, den Chorklang in Vokalspektren und den Orchesterklang in punktuelle Instrumentenmischungen aufzulösen, eine faszinierende Farbigkeit, sie vermag das Brutale (eine Atomexplosion) ebenso zu artikulieren wie das Zarte (ein Liebesduett). Trotz der provozierend harten Klangballungen, trotz der schwierigen Intervallführungen und der seriellen Klangstruktur entspricht Nonos Musik einem Ideal von südländischer „bellezza“, die an Verdi denken läßt, ohne daß durch sie auch nur für einen Augenblick der Anspruch konsequenter Modernität aufgegeben wäre. So wie jede Oper, besitzt also auch Nonos „Intolleranza“ ihr spezifisches Paradox: Hätte Nono eine seinem Text adäquate Musik geschaffen, so wäre eine antiquierte, weder in der Problemstellung noch in der künstlerischen Formung gültige Oper entstanden. Gerade aus der Inkongruenz von Text und Musik bezieht das Werk seine künstlerische Qualität und damit seinen bleibenden Wert.

Aus diesem „Mißverhältnis“ einen theatralischen Stil zu machen, müßte die eigentliche Aufgabe einer Inszenierung der „Intolleranza“ sein. DU Kölner Aufführung löste wohl die von Nono an die Bühnentechnik gestellten Probleme sehr geschickt, blieb jedoch die stilistisch überzeugende Deutung schuldig. Wie man hört, kam der Regisseur Hans L i e t z a u mit dem ihm anvertrauten Werk nicht zu Rande, so daß der in der Theatergeschichte wohl einmalige Fall eintrat, daß nun im Programmheft gleich vier Namen für die „szenische Realisierung“ verantwortlich zeichnen: neben Lietzau der Dirigent Bruno M a d e r n a, der Photograph Chargesheime r, dem die fast immer symbolschlüssigen Projektionen zu danken sind, und der Pantomime Rolf Scharre, der die präzisen Bewegungschöre einstudiert hat. Die stärksten Eindrücke des Abends gingen demnach nicht von der Bühne aus, sondern von der Musik. In dem Solistenquintett dominierten Lawrence White und, wie in Venedig, Catherine Gay er.

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