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Morgenröte über Venedigs Musikfest

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Es fing damit an, daß Venedig diesmal darauf ver- zichtete, einem neuen Strawinsky-Werk das Zeremoniell der Uraufführung zu bereiten; statt dessen wurde Alban Berg in einem abendfüllenden Kompositionskonzert die längst fällige Ehrung erwiesen. Es ging damit weiter, daß Italiens Avantgardekomponisten, denen das Nobelfest bisher verschlossen war, gleich in tutto pieno zu Wort kamen; Luigi Nono mit der Erstaufführung seines „Polnischen Tagebuchs“, Aldo Clementi mit den „Episodi per Orchestra“, Nicolo Castiglioni mit den „Impromptus per Orchestra“ und der Wahlneapolitaner Hans Werner Henze mit der gleichfalls uraufgeführten Tanzpantomime „Des Kaisers Nachtigall“. Und es .kulminierte darin, daß in einer Nachmittags- und einer Abendveranstaltung — elektronische Musik den auf Kulinarisches gerichteten Ohren vorgeführt wurde. Hier verdichtete sich das Anzeichen zum Symbol: Die in das Goldrund des Teatro La Feaice hineingehängten Lautsprecher versinnbildlichten jenen äußersten Belastungspunkt der Elastizität eines Musikfestprogramms, an dem es nur noch die Entscheidung zum kompromißlosen Vorwärts — oder zu einem kleinmütigen Zurück gibt. Diesmal paktierte es noch mit beiden Richtungen und vermied überdies im konventionellen Genre, leider, auch das Minderwertige nicht.

Die elektronischen Stücke von Bruno Maderna und György Ligeti waren gut vorbereitet: durch zwei Webern-Aufführungen Opera 5 und 9 und eine Boulez-Aufführung „Livre pour Quatuor“ des Parrenin-Quartetts, an denen sich die zunehmende Aufsplitterung des Tonmaterials instruktiv nachverfolgen ließ. Weniger gut hatten es die Serialisten: Eingekreist von Routinearbeiten tonal-motorischer oder konventionell zwölftöniger Machart mußten ihre Stücke erst die Barrieren überflüssiger Notenköpfe aus den Ohren der Zuhörer wegräumen, ehe sie zur Wirkung kommen konnten. Das war freilich auch für sie selbst ein Wertmaßstab: im Gedächtnis blieb nur Nonos neues Orchesterwerk haften — als echt empfundene und innerlich ausgehörte Musik, bei der das Wissen um die strikte Befolgung des seriellen Bauprinzips zur Nebensache wird. Bruno Maderna, ein Chef d’orchestra von gelassener Souveränität, verhalf mit den sonst nicht immer ganz firmen

Musikern des Römischen Rundfunksymphonie Orchesters dem Werk Nonos zu einem durchschla genden Erfolg. Wie schade, daß Wien sein Wieder sehen mit Maderna bei einem diesem Dirigenter völlig inadäquaten Programm wird feiern müssen!

Was der Sieg des Nono-Stückes vom Publikums- also „Konsumenten“bereich her anzeigte — daß die serielle Musik als „Richtung“ etabliert ist da: wurde auch vom schöpferischen Bereich her bewiesen. Nicht anders ist es zu verstehen, wenn Marie Pera gallo als Fünfzigjähriger das Casella-Erb und die Zwölftonschulung abstreift und mit den uraufgeführten „Forme Sovrapposte“ ein punktuelle: Lehrstück liefert. Hier ist aus der Erkenntnis, daf auch der Dodekaphonie nur eine — historisch schor erfüllte — Zeitspanne zugemessen war, die schöpferisch verantwortete Konsequenz gezogen! Hans Ericl Apostel, dessen Klavierkonzert am selben Abend und zwar am Ende eines fast dreistündigen Programms, zum erstenmal erklang, will diese Wahrheil noch nicht einsehen. Er vertraute auch in diese; letzten Komposition auf die Tragfähigkeit eines Systems, das in seiner Jugend verbindlich war, heute aber den verlorengegangenen Impetus durch Prinzipientreue ersetzen muß.

Die Ankündigung von drei Einaktopern war eine Irreführung: sie entpuppten sich als Melodram und Pantomimen, als Kabarett und brecht- höriges Lehrstück, doch nimmer als Opern. Zudem enttäuschten sie in ästhetischer und qualitativer Hinsicht. „A 11 e z - H o p" von Luciano Berio und Italo Calvino ist eine als „mimischer Bericht“ aufgemachte Parabel mit der Binsenweisheit, daß kleine Ursachen große Wirkungen haben können, als Sentenz. Die Fabel — ein seinem Zirkus entkommener Floh beschwört einen Krieg herauf — ist zu obskur und leichtfingerig, um in ihrer Antikriegstendenz verstanden zu werden. Berios Musik ist punktuell farbig, sehnig gespannt, freilich aber unabhängig von der Handlung und längst vor ihr entstanden.

Ein Antikriegsstück ist auch „Diagramms C i r c o 1 a r e“, ein melodramatisches Lehrstück von Gian Piero Bona und Alberto Bruni-Tedeschi. Daß die Menschen Hunger haben, ist menschlich bewegend, kaum aber dramatisch brauchbar. Noch weniger ist die Tatsache, daß die Wirtschaftskrise von 1929 besonders großes Elend über die sozial Bedürftigen brachte, zu anderem als einem historischen Rührstück verwertbar. Schon gar nicht aber taugt die Folgerung, der Kreislauf von Produktion, Superproduktion, Krise, Diktatur, Krieg und Ruin wiederhole sich auch in unserer Zeit, zum Demonstrationsobjekt eines Lehrstückes, das doch seiner Bestimmung gemäß die „Wirklichkeit ändern“ — und zwar zum BeSHtbn ändern — söfl.’ BfiinWedsi3iis Miliik äSf .ein Geplätscher, solange sie die gesprochene Hand- Ijihg filmisch untermalt; wo sie, um dem abstrakten Geschehen Anzüglichkeit zu geben, das Horst-Wessel- Lied aufgreift und fesch variiert, wird sie zum Aergernis. Sich über „II Circo Max“, die den Abend beschließende Farce von Gino Negri, zu ärgern, hieße auf einen Spatzen mit Kanonen schießen. Diese Parodie auf Elsa Maxwell, Hollywoods Skandalkolumnistin, und ihre „Kundschaft“ hatte die mühsame Lustigkeit von einem Studentenjux; das tat nicht einmal der verjazzten Musik von Bach bis Offenbach weh.

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