Das Bessere als ewige Sehnsucht

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Ingo Metzmacher und Katie Mitchell machen in der Felsenreitschule Luigi Nonos „Al gran sole carico d’amore“ – „Unter der großen Sonne, von Liebe erfüllt“ – zum akklamierten und bedenkenswerten Ereignis.

Grenzen ausloten, dabei das Wahre suchen, um zu einer besseren Welt zu finden: So ließe sich das Credo von Luigi Nono umschreiben. Nicht dem Experiment als solchem gehörte die Leidenschaft dieses viel zu früh verstorbenen italienischen Komponisten, sondern der mit höchster Passion vorgetragenen Botschaft. Wobei er verstand, diese gleichermaßen in klangliche Eruptionen wie in feinsinnigste Klänge zu verpacken. „Vielleicht mehr in sich selbst“, lautete seine Antwort auf die Frage, wo er leben möchte. Und gefragt, was für ihn das größte Unglück sei, sagte er gleichfalls 1985, fünf Jahre vor seinem Tod: „Die vielen Kriege von heute (Afghanistan, Iran, Irak, San Salvador, Libanon, Chile), die Zerstörung der Natur und die weitere Entwicklung von Atom- und Chemiewaffen.“

Von Paris bis nach Vietnam

Die Sehnsucht nach Friede und Gerechtigkeit bestimmte ihn zeitlebens. Vom Kommunismus erhoffte er Antworten und Lösungen. Und von der kommunistischen Bewegung handelt auch seine zweiteilige Azione scenica „Al gran sole carico d’amore“ aus der Mitte der 1970er Jahre, die den Bogen von der Pariser Kommune des Jahres 1871 bis zum Vietnamkrieg spannt. 1975 wurde dieses für groß besetztes Orchester, Chor, Solisten und Tonband konzipierte Musiktheater im Mailänder Teatro Lirico von Claudio Abbado in der Regie von Juri Ljubimov aus der Taufe gehoben. 1978 brachten Michael Gielen und Jürgen Flimm, der damit seine erste Musiktheaterregie vorlegte, in Frankfurt die Uraufführung der zweiten Fassung heraus.

In Salzburg setzt man auf Ingo Metzmacher und die Amerikanerin Katie Mitchell – einen Dirigenten, dem Zeitgenössisches seit Beginn seiner Karriere ein erklärtes Anliegen ist, und eine Regisseurin, die stets nach originellen Lösungen ringt. So auch in der Salzburger Felsenreitschule. Nicht eine in sich geschlossene Handlung, sondern bestenfalls schlaglichtartige Facetten kommunistischer Geschichte stellt Nono in diesem unkonventionellen Stück mit collageartig verschränkten Zitaten aus Werken von Brecht, Che Guevara, Gorki, Gramsci, Lenin, Marx, Engels, Pavese, Rimbaud und anderen zur Debatte. Mit Frauenschicksalen als Quasi-Metaebene.

Hier setzt Katie Mitchells szenische Realisierung an. Für jede der fünf Frauen – die Pariser Kommunardin Louise Michel (Susan Bickley), die deutschstämmige Guevara-Vertraute Tania Bunke (Julia Wieninger), die von Gorki inspirierte russische Mutter (Birgit Walter), die Turiner Mutter (Helena Lymbery) und die schließlich Mutterfreuden entgegensehende Turiner Prostituierte Deola (Laura Sundermann) – hat sie eine den verhüllten Arkaden der Felsenreitschule vorgestellte Kabine vorgesehen, in denen diese Frauen Alltäglichem nachgehen. Wie Hantieren mit Gewehren, Schreibmaschineschreiben, rot Einfärben von Tüchern oder einfach Warten. Per Video wird dies unmittelbar auf eine mauerartig strukturierte Wand projiziert.

Eine Handlung erwächst daraus nicht. Dafür entstehen berührende Momentaufnahmen, die das auch von Nonos Musik aufgegriffene Spannungsfeld von Ausgeliefertsein, Leiden, Hoffen und machtloser Wut eindringlich dokumentieren. Kommentiert wird dieser historische Bilderbogen durch eine Frau aus dem Heute in einem einst diesen Kommunistinnen gewidmeten Museum. Schnee von gestern, wenn sie Staub von den mit Andenken bestückten Vitrinen wegwischt? Man kann es so deuten, aber ebenso, dass man Patina erst gar nicht aufkommen lassen darf, will man Ziele nicht aus den Augen verlieren.

So ausgeklügelt diese mit höchster technischer Perfektion (Leo Warner und Bruno Poet) gestaltete, mit Brüchen arbeitende Bilderfolge ist, so sehr lässt sich darüber diskutieren, wie sehr Nonos narrative Musik eine solche szenische Aufbereitung überhaupt nötig hat. Jedenfalls bietet Mitchell eine plausible Erklärung für das komplizierte Libretto, ermöglicht Einstiege zum Verständnis der einzelnen Zitate, gibt Anregungen zum Weiterdenken, lädt zum subjektiven Reflektieren ein, betont das Grundsätzliche von Nonos Anliegen, ohne in ideologische Niederungen abzugleiten.

Idealer Klangteppich

Die dabei zur Schau gestellte Kunstfertigkeit und Perfektion kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das eigentliche Ereignis dieser Produktion im bis zur Bühne hochgezogenen Orchestergraben und in den Reihen der exzellenten Solisten stattfindet. Vorweg ein Verdienst von Ingo Metzmacher: Mit Souveränität, Verve und Gelassenheit führt er die brillant aufspielenden Wiener Philharmoniker, entlockt der bestens vorbereiteten Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Einstudierung: James Wood) höchste Qualität, legt den in allen Partien mit größter Virtuosität aufwartenden Solisten – voran den fünf Sopranistinnen, die zuweilen atemberaubend die hochgestellten Anforderungen erfüllen – einen idealen Klangteppich. Dass für die Tonbandeinspielungen auf die von Nono hergestellten, von der Universität Udine extra für diese Aufführungsserie restaurierten Originaltonbänder zurückgegriffen wird, lässt dieser packenden Darstellung von Nonos Hommage für die Verfolgten zusätzlich authentische Dimension zuwachsen.

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