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Der neue Roman der diesjährigen Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing hat Rezensentin Julia Kospach nicht sehr überzeugt.

So regelmäßig war Doris Lessings Name in den letzten 30 Jahren in Zusammenhang mit dem Literaturnobelpreis genannt worden, dass sie selbst schon sagte: "Ich bekomme ihn nie." Nun hat sie ihn doch bekommen, im Alter von 88 Jahren. Zur Verleihung am 10. Dezember kann sie aus Gesundheitsgründen allerdings nicht nach Stockholm reisen; der Preis wird ihr in London überreicht werden.

Mit Lessing wird eine Eigenwillige, eine Skeptikerin und radikale Individualistin ausgezeichnet, eine Autorin, die ein großes - auch qualitativ - uneinheitliches Werk von über 50 Büchern geschaffen hat. Zeitlebens kämpfte die in Persien und Rhodesien, dem heutigen Simbabwe, aufgewachsene Tochter britischer Eltern gegen Rassismus und Apartheid, machte die Sache der Frauen schreibend zu der ihren und weigerte sich doch immer, sich vom Feminismus, zu dessen Säulenheiliger sie spätestens seit dem Erscheinen ihres Zentralwerks "Das goldene Notizbuch" (1962, dt. 1978) erklärt wurde, vereinnahmen zu lassen. Als Schriftstellerin mag sie ihren Zenit überschritten haben, als Identifikationsfigur und politische Stimme in der Auseinandersetzung mit den großen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts bleibt Doris Lessing wesentlich.

Welche eigentümlichen Volten der Geist dieser unverwechselbaren, vom persischen Sufismus beeinflussten Frau mitunter schlägt, zeigt nicht zuletzt ihr jüngstes Buch "Die Kluft". In Interviews hat Lessing gesagt, sie wolle den Roman ironisch verstanden wissen, als humorvolle Auseinandersetzung mit Geschlechter-Klischees und -Stereotypen und als Reflexion über ihren Eindruck, dass Frauen um vieles solider und praktischer seien als Männer. Weiß man das nicht, bleibt diese Ironie verborgen. Und wüsste man auch nicht, dass der Roman von Doris Lessing stammt, fühlte man sich vollends von seiner bedeutungsschwangeren Symbolsprache, seiner mythologischen Bedeutungshuberei und der unwidersprochenen Statik der darin beschriebenen Geschlechterbeziehungen erschlagen - wie festgenagelt in einem archaischen, längst überwunden geglaubten Biologismus.

Die Geschichte, die Lessing erzählt, führt zurück in eine vorhistorische Zeit, in einen unverorteten, mythischen Raum: Ein Volk der Frauen - beziehungsreich "Spalten" genannt - lebt dort in träger Eintracht und Untätigkeit an einer Küste, ernährt sich von Fischen und Seetang, liegt gleich einer Walrosskolonie wohlgenährt Körper an Körper auf den Felsen in der Brandung und bringt in regelmäßigen Abständen neue weibliche Babys auf die Welt.

Die bequeme Idylle gerät in Disbalance, als den Frauen mit einem Mal auch "Ungeheuer" geboren werden, sprich männliche Babys mit "Klumpen und Schlauch". Diese werden von den Frauen ausgesetzt, verstümmelt oder getötet. Doch die Zahl der Ungeheuer nimmt zu, einigen gelingt das Überleben jenseits der Berge in einem Tal, wo sie, von Hirschkühen gesäugt, zu einem männlichen Wald-Volk der "Zapfen" heranwachsen, das irgendwann mit dem Frauenvolk in Beziehung tritt. Man entdeckt einander, Begehren macht sich breit, aus ersten lustvollen Vereinigungen entstehen die ersten Kinder, die Vater und Mutter haben.

An dieser Stelle beginnt der Geschlechterkonflikt - und zugleich die Festschreibung der Klischees, denn als Erzähler dieses Mythos' erfindet sich Doris Lessing einen römischen Senator, der aus unvollständigen Manuskripten und Zeugnissen eine Urgeschichte der Menschheit zusammenstoppelt. Und dieser Senator, ganz Kind seiner Zeit, ist nicht dazu angetan, etwas anderes zu versuchen als die Bestätigung der Stereotype: Die Männer sind verantwortungs- und achtlos, auf die Befriedigung ihrer Abenteuerlust und ihres Begehrens konzentriert, die Frauen, die umsichtig, vorausblickend und gemeinschaftsstiftend denken, nörgeln an den Männern herum, denen sie intellektuell, sprachlich und in Fragen der Kommunikation haushoch überlegen sind.

Worauf dieses so dogmatisch daherkommende Buch (das doch auf Ironie angelegt sein soll) hinaus will, bleibt rätselhaft: Ist es ein Augenzwinkern, mit dem Lessing sagt: Ich übertreibe, doch im Kern des Klischees liegt Wahrheit? Ist es eine Kapitulation, die Männer zu unmündigen Kindern erklärt und weibliches Selbstverständnis in seufzender Zur-Kenntnisnahme sieht? Ist es misslungener Humor? Literarisch ist "Die Kluft" vor allem ärgerlich, weil eine dröge, repetitive Lektüre. Ganz gewiss tritt Doris Lessing nicht mit einem ihrer großen Romane zur Verleihung des Literaturnobelpreises an - und vom Feminismus vereinnahmt zu werden, muss sie im Zusammenhang mit diesem Buch gewiss nicht fürchten.

Die Kluft

Roman von Doris Lessing

Aus dem Engl. von Barbara Christ

Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2007. 239 Seiten, geb., € 20,50

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