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Teddy

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Herr Kranzl gab ihm den Namen Teddy. Die Rasse rechtfertigte den Namen: Teddy war ein Foxterrier. Zunächst war an ihm nichts weiter bemerkenswert als die großen braunen Augen; die unangetastete Güte der Welt am Schöpfungstage lag in diesen Augen. Jenseits allen Wissens, aller Leiden und aller Leidenschaften. Doch im Laufe der Zeit blieb es auch Teddy nicht erspart, sich über Menschen und Welt Gedanken zu machen. Er fand, daß alle Menschen Götter waren, die einfach alles konnten und denen alles gelang. Aber ihre Wek war voller Schrecknisse. Das unheimlichste aller Dinge stand in dem Zimmer, in dem Teddy mit schlafen durfte, in einer Ecke; es reichte vom Boden bis zur Decke. In diesem Ding verdoppelten sich die Menschen, aber auch er, Teddy, zeigte sich darin, ohne freilich zu wissen, daß er es war. Da kam plötzlich ein kleiner Hund in dem hellen Ding angewackelt, blieb stehen, sah Teddy an und Teddy sah ihn an. Bewegte er sich einen Schritt vorwärts, tat es der andere auch, und er blieb stehen, wenn Teddy stehenblieb. Endlich, mit äußerster Vorsicht, hatte man sich einander genähert, und nun stieß man mit der Nasenspitze gegen etwas Kaltes, gegen eine unsichtbare Scheidewand. Aber noch sonderbarer: Jener Hund hatte keinen Geruch. Das bedeutendste Organ der Hundewelt, die' Nase, vermeldete nichts von dem Hundebruder jenseits der Wand. Was für ein seltsamer Spuk!

Daß die Welt voller Widersprüche war, erfuhr Teddy durch Tante Grete. Sie hatte stets allerlei Häppchen bereit und Zucker und Schokolade. Was für eine Göttin! Aber bisweilen wurde sie zu einem Teufel. Sie krempelte sich die Blusenärmel auf und schleppte eine Wanne mit heißem Wasser herbei. Im ganzen Zimmer roch es nach einem schrecklich scharfen Zeug; und unversehens wird man beim Fell gepackt und in die Wanne gesteckt. Das war entschieden das Schlimmste! Sooft sich jemand im Haus die Hemdärmel aufkrempelte, verschwand Teddy hinter dem hohen Schrank, und wenn Tante Gretes Stimme drohend laut wurde, versuchte er mit der Aufrichtigkeit eines Hundes, die verlogene Höflichkeit nicht kennt, zu entweichen.

Dann kam Teddy langsam in das Alter, in dem er sich Gedanken darüber machte, ob die Menschen wirklich so klug waren, wie er es anfangs annahm. Eines war jedenfalls sicher: Von Wohlgerüchen verstanden sie gar nichts! Alles, was mausig roch, nach Hunden und nach den Hasenlöchern hinten im Wald oder nach der toten Krähe, die da einmal lag, wußten sie nicht zu schätzen. Mitunter starrte der oberste der Götter, Herr Kranzl, stundenlang in große Bogen schlecht duftenden Papiers. Das war eine der Unbegreiflichkeiten der Menschheit. Die großen Zweibeiner warteten morgens und abends auf diese Papierbogen, sie starrten hinein, starrten und starrten, während Teddy in einem einzigen Augenblick wußte, ob es etwas von Interesse enthielt.

Die Menschen lebten in einer überraschenden Sorglosigkeit. Teddy hatte sich eines ansehnlichen Knochens bemächtigt und ihn im Garten eingegraben, um für die Stunde der Not sicher zu sein. Man hatte ihn gescholten und den Knochen wieder ausgegraben. Und als er sich einmal mit Lust auf der toten Krähe gewälzt hatte, gab es großen Krach, dem die un beschreibliche Qual der Badewanne und der Seife folgte.

Im Grunde war man also einsam und unverstanden. Aber alle Depression war wie verflogen, wenn Herr Kranzl, der strahlende, all mächtige Herr des Hauses, der alle hohen Türen öffnen konnte, sich mit ihm in das große, warme Bett legte, ihn in den Arm nahm und in sein Hundeohr flüsterte: „Schlaf jetzt ein, Teddy, du kleines Ungeheuer!“

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