Himmel - © Brigitte Schwens-Harrant

"Ulysses": Luft-, Wind- und Atemwörter

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100 Jahre Bloomsday: Nicht nur neue Joyce-Biografien erscheinen, sondern auch eine kommentierte Ausgabe des "Ulysses" Ein Anlass, den berühmten und doch so wenig bekannten Roman endlich auch einmal selbst zu lesen.

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100 Jahre Bloomsday: Nicht nur neue Joyce-Biografien erscheinen, sondern auch eine kommentierte Ausgabe des "Ulysses" Ein Anlass, den berühmten und doch so wenig bekannten Roman endlich auch einmal selbst zu lesen.

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Der Bloomsday, 16. Juni 1904: längst wird er wie ein historisches Datum zelebriert. Vor allem in Dublin, wo der Roman "Ulysses", dem dieses Datum entstieg, weder entstanden, noch, weil er als "obszön, unzüchtig, lasziv, nichtswürdig, anstößig und widerlich" galt, zunächst willkommen war. Heute aber ist Dublin stolz auf seinen Joyce.

Viele Jahre hat Joyce an seinem Gesamtkunstwerk "Ulysses" gearbeitet, damit begonnen in Triest, bis er 1915 nach Zürich emigrieren musste, wo er große Teile weiter schrieb, danach in Paris, wo der Roman 1922 erschien. In "Ulysses" benutzte Joyce nicht nur die unterschiedlichsten literarischen Gattungen und Erzählstile, sondern kreierte er Sprache, mit der er etwa auch Zustände wie Trunkenheit hörbar machen konnte.

Der Roman spielt in Dublin, an einem einzigen Tag, dem 16. Juni 1904, von 8 Uhr früh bis nachts um 3, mit Leopold Bloom, Anzeigenagent des Freeman's Journal, seiner Frau Molly und dem jungen Stephen Dedalus als Hauptfiguren. Als Hintergrundfolie die Homersche Odyssee zu kennen, ist für den Leser von Vorteil, erfordert die Lektüre des Hunderte von Seiten starken Werkes doch ohnehin Glanzleistungen im Puzzlespiel und Verstehen von Zusammenhängen. Weitere Bezugsfolien sind unter anderem der Stadtplan Dublins, an den der Roman sich akribisch hält. Joyce fragte etwa 1921, als er die Ithaca-Szene verfasste (in der Bloom nach Hause kommt, aber den Schlüssel nicht findet), extra bei seiner Tante an, ob man in "7 Eccles street" über das Geländer ins Tiefgeschoß klettern könne.

"Heutzutage ist alles im Fluß und Wandel begriffen, und moderne Literatur, die etwas taugen soll, muß diesen Prozeß ausdrücken", so Joyce. Leser müssen sich auf diesen Prozess einlassen. "Ulysses" besteht aus inneren Monologen, Bewusstseinströmen, Assoziationen, Missverständnissen, Hörfehlern, Wortkreationen. Biograf Jörg W. Rademacher empfiehlt das laute, Übersetzer Klaus Reichert das mehrmalige Lesen, da sich erst dann die vielen Grund- und Nebenthemen erschließen. Dafür wird die Mühe mit einzigartigen Stilparodien belohnt. Die Aeolus-Epsiode etwa spielt in einer Zeitungsredaktion und parodiert Rhetorik der Antike, Zwischenüberschriften simulieren Zeitungsseiten. Luft-, Wind- und Atemwörter wehen in diesem Reich der Winde durch den Text...

James Joyce' Leben, so kann man auch den neu erschienenen Biografien entnehmen, ist selbst eine Odyssee. Mit Dublin, Paris, Triest und Rom lassen sich nur einige Stationen des Weges aufzählen, bis Joyce schließlich in St. Gérandle-Puy verzweifelt monatelang auf seine Einreiseerlaubnis in die Schweiz warten musste. Im November 1940 erhielt er das Langersehnte, am 13. Januar 1941 war er tot.

Als erstes (überlebendes) Kind am 2. Februar 1882 geboren (seine Mutter gebar 16 Kinder, von denen vier tot zur Welt kamen und zwei weitere kurz nach der Geburt starben) stand er zeitlebens in Verbundenheit und Diskussion mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Stanislaus, der ihm meist aus seinen finanziellen Problemen half und ihn auch wieder und wieder vom Trinken abzuhalten versuchte. Auch als Einblick in die unterschiedlichen Auseinandersetzungen der beiden Brüder mit der katholischen Kirche lohnt sich die Lektüre des Erinnerungsbuches von Stanislaus Joyce: "Meines Bruders Hüter". Leider blieb es unvollendet, Stanislaus Joyce starb an einem Bloomsday, am 16. Juni 1955.

ULYSSES
Roman von James Joyce. Kommentierte Ausgabe.
Hg. u. komm. v. Dirk Vanderbeke u. a.
1100 Seiten m. Plänen u. Register, geb., € 51.40

Meines Bruders Hüter
Von Stanislaus Joyce
Mit e. Vorw. v. T. S. Eliot u. e. Einf. v. Richard Ellmanns.
Dtsch. v. Arno Schmidt.
332 Seiten, geb., € 18,20

Welt-Alltag der Epoche
Essays zum Werk von James Joyce.
Von Klaus Reichert.
150 Seiten, kart,, € 9.30

Joyce für Jedermann
Eine Einführung in das Werk von James Joyce für den einfachen Leser
Von Anthony Burgess
382 Seiten, kart., € 8,80

Alle: Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2004

James Joyce
Von Jörg W. Rademacher
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004.
357 Seiten, kart., € 15,50

James Joyce
Von Friedhelm Rathjen
Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek 2004.
155 Seiten m. Abb., kart., € 8,80

Ulysses. Texte und Bilder.
Von James Joyce / Mimmo Paladino.
Insel Verlag, Frankfurt 2004,
59 Seiten m. Abb., geb., € 12,20

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